Der Burgbote 1988 (Jahrgang 68)
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Die<br />
KMGV-Familie<br />
Professor<br />
Dr. Heinrich Lützeler<br />
‚. 27.1.1902<br />
l 12. 6. <strong>1988</strong><br />
Mit Professor Dr. Heinrich<br />
Lützeler verlor die Cäcilia Wolkenburg<br />
ein Ehrenmitglied,<br />
das seinen populären Ruf sei—<br />
nen Vorträgen, Büchern und<br />
Schallplatten über den Kölner<br />
Humor verdankt. Die Arbeiten<br />
über diesen Themenkreis be—<br />
fassen sich ernsthaft mit dem<br />
Heiteren. Gerne zitierte die<br />
rheinische Frohnatur den französischen<br />
Charakterschilderer<br />
Bruere: „Man muß lachen,<br />
bevor man glücklich ist, weil<br />
man sonst sterben könnte,<br />
ohne gelacht zu haben.“ Wir<br />
erinnern uns hier an die Ansprache<br />
von Prof. Lützeler im<br />
Kölner Opernhaus anläßlich<br />
der 100—]ahrfeier unseres Zillchens<br />
(4. 2. 1974). Aus dem<br />
Archiv wählten wir den Teil<br />
aus, der sich mit der Zukunft<br />
des Zillchens beschäftigte.<br />
„Und nun möchte ich noch<br />
ein bißchen in die Zukunft von<br />
Cäcilia Wolkenburg hineinschauen.<br />
Es gibt einen zauber—<br />
haften, von Herder erfunde—<br />
nen Dialog zwischen einem<br />
Griechen und einem Ägypter.<br />
Die beiden werfen sich die<br />
Fehler ihrer Kunst vor und<br />
kommen dadurch zur Einsicht.<br />
Und nun möchte ich auch einen<br />
solchen Dialog erfinden;<br />
auf der einen Seite steht der<br />
Spekulöres, das ist ein Mann,<br />
der spinnt, der genau beobachtet,<br />
der hat in meinen Dia—<br />
logfragmenten etwas mit dem<br />
Theater, dem Theater—Inten—<br />
danten, vielleicht auch mit der<br />
Theaterkritik zu tun. Auf der<br />
anderen Seite steht einfach das<br />
Zillchen.<br />
Da sagt der Spekulöres:<br />
„Generalintendant Maisch hat<br />
1977 nicht gestattet, daß das<br />
Divertissementchen auf Städti—<br />
schen Bühnen erscheine. Das<br />
komme einer Tempelschän—<br />
dung gleich.“<br />
Da sagt das Zillchen: „Da hat<br />
der Generalintendant aber<br />
eine ganz veraltete Theaterauffassung;<br />
der Freund vom<br />
Musentempel, vielleicht sollte<br />
man ihm noch eine Säulenhalle<br />
davor setzen! Das Theater<br />
nimmt sich feierlich, wir nehmen<br />
uns nicht feierlich. Und<br />
dann möchte ich dem General—<br />
intendanten empfehlen, mal<br />
Jean Paul zu lesen; der hat ge—<br />
sagt: <strong>Der</strong> Scherz fehlt uns bloß<br />
aus Mangel an Ernst!“<br />
Wieder kommt der Spekulöres:<br />
„Die Leute vom Theater<br />
sagen, wir treiben avantgardistisches<br />
Theater, wir sind en—<br />
gagiert, wir stellen die Frage,<br />
wir hinterfragen sogar, wir brechen<br />
verkrustetes Bewußtsein<br />
auf. Wir zeigen die Welt, wie<br />
sie ist, ihr zeigt aber die Welt im<br />
Divertissementchen als bür—<br />
gerliche Klamotte. “<br />
Da sagt das Zillchen: „Wir<br />
haben in letzter Zeit die The—<br />
men im Fernsehen beobach—<br />
tet. Da kamen erst die Schwu—<br />
len d‘an, dann die Lesbierinnen,<br />
dann eine nach zwanzig<br />
Jahren gescheiterte Ehe, dann<br />
hatte ein Film den Titel ‘All —<br />
t‘aumhafte Liebestragödie’,<br />
ein anderer Film hatte den Titel<br />
‘<strong>Der</strong> Schritt zum Abgrund’. Ich<br />
Prof. Dr. Heinrich Lützeler<br />
109<br />
meine, auch diese Themen<br />
sind nicht gleichbedeutend<br />
mit Welt und treffen nicht das<br />
ganze Leben. Wir sind beschei—<br />
dener, wir wollen nur einen<br />
Beitrag zur Erkenntnis des<br />
Lebens geben und zwar im<br />
Sinne des Liedes, das in Faust H<br />
der Türmer singt:<br />
Ihr glücklichen Augen,<br />
Was je ihr gesehn,<br />
Es sei, wie es wolle,<br />
Es war doch so schön!<br />
Wir stehen ganz am Ende<br />
der Goethe—Nachfolger, aber<br />
immerhin, die heutigen Thea—<br />
ter und das Fernsehen wissen<br />
oft nichts mehr von der tiefen<br />
Heiterkeit in Goethe.“<br />
Da sagt der Spekulöres:<br />
„Was mich am Divertissementchen<br />
immer so ärgert, das ist<br />
der Naturalismus, in der Form,<br />
besonders im Bühnenbild, das<br />
ist reines Panoptikum, ihr wagt<br />
nicht die Kühnheit neuen Se—<br />
hens, ihr schafft im Grunde ein<br />
Bühnenbild der Marter auch.“<br />
Da sagt das Zillchen: „Da<br />
war ich kürzlich in Bonn, da<br />
wurde ‘Nathan der Weise’von<br />
Lessing auf Schaumgummi-