Der Burgbote 1988 (Jahrgang 68)
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auf der Herrenseite, was zum<br />
einen einen freundlicheren und<br />
besseren Service der Garderobe<br />
bedeutete und zum anderen einen<br />
intensiveren Kontakt zur<br />
sog. „Drosselgasse” mit sich<br />
brachte, einer Garderobe, in der<br />
sich das wesentliche Pausenge—<br />
schehen abspielt. Dort wird alles,<br />
was zu feiern ist, gefeiert,<br />
und es befand sich dort auch ein<br />
nennenswertes Weindepot. Unter<br />
der fachkundigen Beratung<br />
eines echten Küfermeisters hör—<br />
te man ständig die Empfehlung<br />
für besonders trockene oder<br />
liebliche oder fruchtige oder ele—<br />
gante „Weinchen”, die von den<br />
Sängern auch gegen profane<br />
Biermarken sowohl für den So—<br />
fortverbrauch auf der Bühne als<br />
auch in größeren Mengen für<br />
den häuslichen Weinkeller gekauft<br />
wurden. Das Geschäft war<br />
während der ganzen Vorstel—<br />
lungszeit so intensiv und umfangreich,<br />
daß mit Sicherheit<br />
mancher Profibetrieb neidisch<br />
geworden wäre, wenn er einen<br />
derartigen Umsatz auf einer so<br />
kleinen Quadratmeterfläche ge—<br />
habt hätte.<br />
Wie jedes Jahr fand auch eine<br />
geschlossene Vorstellung für<br />
das Festkomitee Kölner Karneval<br />
statt mit Live—Auftritt des<br />
Dreigestirns. Das Zeremoniell<br />
des Aufzugs, der Begrüßung<br />
und der Lobhudelei war jedoch<br />
wenig stimmungsfördernd, so<br />
daß bei manchem Beteiligten<br />
die Erinnerung an eine Vorstel—<br />
lung aus dem Vorjahr wach<br />
wurde; bei dieser Gelegenheit<br />
waren alle Karten einer Vorstel—<br />
lung von einer Bank erworben<br />
worden. Das Echo aus dem<br />
Bank—Publikum war so schwach<br />
und temperamentlos, daß von<br />
dieser Vorstellung nur noch ge—<br />
sprochen wurde als vom „Requiem<br />
für eine Bank”.<br />
<strong>Der</strong> Auftritt des Gurkenkö—<br />
nigs Pluto war für viele Sänger<br />
auf der oberen Etage von beson—<br />
derem Interesse, da sein Diener<br />
ein Faß Gewürzgurken mit—<br />
brachte, von denen Pluto einige<br />
huldvoll verteilte. Die Drängelei<br />
der Sänger nach diesen Gürk—<br />
chen erinnerte schon fast an die<br />
Jagd nach Kamellen oder Besse—<br />
rem im Rosenmontagszug.<br />
Selbst wenn der Gurkenkönig<br />
mit seinem Diener schon fast<br />
außer Reichweite war, gelang es<br />
immer noch dem einen oder an—<br />
deren Sangesbruder, mit langem<br />
Arm direkt in das Gurkenfaß zu<br />
grapschen, um sich selbst eine<br />
triefende Gurke herauszuangeln,<br />
und somit dem akuten<br />
Hungertod zu entrinnen.<br />
Wie üblich tranken die Gäste<br />
auf der Bühne nicht das städti—<br />
sche Gemisch aus Apfelsaft und<br />
Sprudelwasser, sondern brach—<br />
ten sich selbst Wein oder Sekt<br />
mit. Gelegentlich gelang es je—<br />
doch, das eine oder andere be—<br />
reits leergetrunkene Glas unbe—<br />
merkt mit Gurkenwasser aufzufüllen.<br />
Beim anschließenden<br />
freundlichen Zuprosten verzogen<br />
sichjedoch schmerzhaft und<br />
„gesäuert” die Gesichter; da—<br />
nach wurden Schimpfkanona—<br />
den auf die vermeintlichen Täter<br />
abgelassen, die dem „Kölschen<br />
Explizeer” zur großen Ehre ge—<br />
reicht hättcn.<br />
An Weiberfastnacht war ein<br />
besonderer Jux eingebaut, als<br />
Faktotum Dux die Gurke für die<br />
allabendliche Wahl der „Miß<br />
Zillchen” (alias das Urteil des<br />
Paris) in Empfang nahm. Es<br />
wurde ihm diesmal statt der<br />
kleinen Gewürgurke eine riesengroße<br />
Salatgurke angereicht.<br />
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und zwar vom Regisseur Mei—<br />
nerzhagen höchstpersönlich.<br />
Nichtsdestotrotz hat Dux sein<br />
Urteil gesprochen und anschlie—<br />
ßend herzhaft in die Salatgurke<br />
gebissen.<br />
Im zweiten Teil der Vorstellung<br />
am Weiberfastnachtstag<br />
trat nach einer längeren Text—<br />
passage ohne musikalische Be—<br />
gleitung eine Stockung ein, da<br />
vor dem Orchester ein leeres Di—<br />
rigentenpult gähnte. Nach eini—<br />
gen Sekunden des Zögerns und<br />
der Unsicherheit ergriff jedoch<br />
der Konzertmeister beherzt den<br />
Bogen und gab das Zeichen zur<br />
musikalischen Fortsetzung des<br />
Stücks auf ohne Dirigent. Dieser<br />
eilte bald behende herbei (ob<br />
aus der Kantine oder aus dem<br />
Gegenteil ist nicht bekannt) und<br />
freute sich offensichtlich, daß<br />
das Stück auch ohne ihn seinen<br />
Fortgang genommen hatte.<br />
<strong>Der</strong> Dankeschönabend für<br />
die Aktiven des Zillchens ’88<br />
war in diesem Jahr in der neugestalteten<br />
Wolkenburg besonders<br />
gut gelungen. Angefangen vom<br />
Begrüßungssekt (und Rosen für<br />
die Damen) über die ansprechenden<br />
musikalischen Darbietungen<br />
bis zum kalten Buffet<br />
und einer temperamentvollen<br />
Tanzkapelle, die überwiegend<br />
ohne Verstärker Livemusik dar—<br />
bot, war der Abend ein voller<br />
Erfolg, der auch den monatelan—<br />
gen Strohwitwen eine kleine<br />
Entschädigung bot.<br />
Für die Sänger ergibt sich<br />
nun wieder das Problem, die<br />
zillchen—lose, die schreckliche<br />
Zeit gut durchzustehen und sich<br />
ohne Entzugserscheinungen<br />
dem normalen Chorbetrieb zu<br />
widmen.<br />
Reiner Schellen