Blicke ins Reich der Gnade
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KAPITEL 8<br />
zeigen könne. Ach ja, auch die Heiligsten auf Erden werden es bekennen<br />
müssen, daß auch im Leben <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> Gottes mitunter<br />
wie<strong>der</strong> Stunden und Augenblicke kommen können, da tausen<strong>der</strong>lei<br />
Freuden und Genüsse, Güter und Verhältnisse, denen sie durch Gottes<br />
<strong>Gnade</strong> schon längst sich völlig abgestorben glaubten, plötzlich<br />
wie<strong>der</strong>, vom reizendsten Zauberlicht umflossen, den Augen ihrer<br />
Phantasie sich darstellen. Da wird’s denn wie<strong>der</strong> ungestüm und<br />
stürmisch auf dem Meer <strong>der</strong> Sinne und Begierden, und <strong>der</strong> Teufel<br />
läßt alsdann nichts unversucht, um in diesen Fluten die arme Seele<br />
vollends zu ersäufen. In solchen Augenblicken heißt’s dann auch zu<br />
uns rasch, unversehens, ehe wir uns besinnen können: „Dieses alles<br />
will ich dir geben, so du nie<strong>der</strong>fällst und mich anbetest.Ünd siehe,<br />
nur um ein kleines ist’s da oft zu tun, um alle jene Herrlichkeiten<br />
und goldenen Berge zu gewinnen, nur um ein gering Vergehen, das<br />
vielleicht niemand je erfährt, nur um einen schnellen Fußfall vor<br />
dem Argen, nur um eine flüchtige Huldigung, und alles ist unser.<br />
Und ach, ihr Lieben, David und Salomo sind nicht die einzigen unter<br />
den Gotteskin<strong>der</strong>n geblieben die diesen Fußfall taten, um einmal<br />
wie<strong>der</strong> aus dem Taumelkelch <strong>der</strong> Weltlust einen Trunk zu tun. Doch<br />
in welcher Weise dieser Fußfall auch geschehen möge, wir haben<br />
Mitleid mit diesen unterliegenden Brü<strong>der</strong>n und verachten sie nicht.<br />
Nein, wir verachten sie nicht; denn wir kennen unser Herz, wir wissen,<br />
was wir sind wie <strong>der</strong> Arge einem so schön die Welt vor Augen<br />
malen und ihre Eitelkeiten so reizend färben kann. Wir wissen das<br />
und seufzen alle Stunden: „Herr, führe uns nicht in Versuchung!”<br />
Freilich, zu verkennen ist <strong>der</strong> Arge nicht, wenn er mit solchen Zaubergesichten<br />
und unverschämten Zumutungen wi<strong>der</strong> uns anrückt.<br />
Die Genüsse und Schätze, die er lobrednerisch uns anbietet, die Mittel<br />
und Wege, die er zur Erlangung <strong>der</strong>selben uns vorschlägt, verraten<br />
ihn. In Versuchungen dieser Art kommt er nicht in Lichtengelsgestalt,<br />
son<strong>der</strong>n ohne Maske und unverkleidet, plump und offen,<br />
keck und <strong>der</strong>be. Da weiß man schnell, mit wem man es zu tun hat,<br />
und das macht den Streit schon leichter. Unverwundet, wie Jesus,<br />
werden wir den Kampfplatz freilich wohl nie verlassen; ohne alle<br />
Regung einer sündlichen Lüsternheit werden wir wohl selten den<br />
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