Dialogue in and between Different Cultures - International ...
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Der Sprechakt der Entschuldigung im Deutschen und im Russischen 39<br />
Sprechakte vor allem im Bereich der Bitten, Aufforderung und des Widersprechens<br />
verst<strong>and</strong>en. Daher werden diese Höflichkeitsmodelle auch häufig unter<br />
dem Begriff “Indirektheitsansätze” subsumiert (vgl. Held 1995:82ff).<br />
Der Höflichkeitsrelevante Wirkungszusammenhang besteht dar<strong>in</strong>, dass <strong>in</strong>direkt Formuliertes<br />
e<strong>in</strong>en ger<strong>in</strong>gen Verb<strong>in</strong>dlichkeitsgrad ausweist, offener <strong>in</strong>terpretiert werden kann<br />
und dem Sprecher oder dem Hörer e<strong>in</strong> breiteres Fortsetzungs- oder Auswegspotenzial<br />
schafft (Erndl 1998:49).<br />
Die Gleichsetzung der Höflichkeit mit der auf die Konfliktvermeidung gerichteten<br />
Indirektheit wird von manchen Höflichkeitstheoretikern als zu eng kritisiert (vgl.<br />
Erndl 1998:27). Denn wenn sich Höflichkeit <strong>in</strong> Indirektheit erschöpfen sollte,<br />
bleiben die Zuwendungsstrategien wie beispielsweise small talk, Komplimente<br />
sowie der verbale und nonverbale Ausdruck positiver Gefühle bei der Höflichkeitskonzeption<br />
unberücksichtigt (vgl. Erndl 1998:28). Held plädiert aus diesem<br />
Grunde für e<strong>in</strong>en erweiterten Höflichkeitsbegriff, wobei “Höflichkeit e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>e<br />
positiv zu bewertende Beziehungsarbeit impliziert, wie auch immer diese kulturell<br />
bestimmt se<strong>in</strong> mag” (zit. nach Erndl 1998:31). Das Wesentliche der Höflichkeit<br />
besteht <strong>in</strong> der “kont<strong>in</strong>uierlichen und wechselseitigen Orientierung an den<br />
Bedürfnissen des Anderen” (ebd.). Dass e<strong>in</strong>e derart breite Begriffsbestimmung<br />
die empirische Erfassbarkeit dieser Kategorie erschwert, war der Autor<strong>in</strong> durchaus<br />
bewusst.<br />
6. Besonderheiten der Höflichkeit im Russischen<br />
Kotthoff (2003:292) geht davon aus, dass alle bekannten Kulturen Strategien der<br />
Unterstützung und Distanzwahrung kennen und praktizieren. Deren Stellenwert<br />
sowie konkrete Manifestierungen <strong>in</strong> Ritualen oder Höflichkeitskonzepten divergieren<br />
aber von Kultur zu Kultur erheblich. Bei der Vielfalt differierender Interaktionsstile<br />
stellt die kulturspezifische Def<strong>in</strong>ition des Selbstimages das entscheidende<br />
Kriterium für das Verstehen e<strong>in</strong>er Kultur dar (vgl. Nixdorf 2002:8). In<br />
der russischen Kultur wie wohl <strong>in</strong> den meisten kollektivistischen Gesellschaften<br />
ist das ‘negative Gesicht’, das Bedürfnis nach Distanz und persönlichem Freiraum<br />
e<strong>in</strong>es Individuums weniger stark ausgeprägt als bei Vertretern/<strong>in</strong>nen von Kulturkreisen<br />
mit <strong>in</strong>dividualistischer Prägung.<br />
Dies erklärt, warum die Techniken der negativen Imagepflege oder die<br />
negative Höflichkeit bzw. die Taktmaxime der Vermeidung im Russischen e<strong>in</strong>e<br />
ger<strong>in</strong>gere Rolle spielen als die positive Höflichkeit, die Sympathie-, Anerkennungs-<br />
und Zustimmungsmaxime (vgl. Rathmayr 1996:22).<br />
In diesem Zusammenhang spricht Rathmayr (ebd.:26) von “Solidaritätshöflichkeit”<br />
der russischen Menschen, die der westeuropäischen “Distanzhöflichkeit”<br />
misstrauisch gegenüberstehen und Vermeidungsstrategien als mangelndes<br />
Interesse am Gegenüber auslegen. Da Direktheit <strong>in</strong> der russischen Kultur neben<br />
Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zu besonders geschätzten Charaktereigenschaften