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21 DICHTUNG 134<br />
gefühls verbuche, nach einem verständnislosen blick ihres kindlichen gesichts, als<br />
ich gerade den mut aufbringe, sie zu fragen, mit ihr einen netten abend & eine<br />
vielleicht noch nettere nacht zu verbringen, lächelt sie gezwungen in mein er-<br />
stauntes gesicht, löst sich aus meiner salzigen umklammerung & sagt grinsend:<br />
“später nochmal, vielleicht.“ ich stehe mitten zwischen hart arbeitenden tanzpaa-<br />
ren, die alle & zwar alle zu 2t sind, nachts um halb 3 besoffen auf der hälfte der<br />
suipacha & darf zusehen, wie die locke mit einem dünnen, glattrasierten, billig<br />
gekleideten fußballspieler abzieht, der auf ihre breiten lippen & die noch breiteren<br />
hüften gar keinen bock hat, weil er sich gerade mit ihrer freundin amüsiert & ihre<br />
best<strong>im</strong>mende art überhaupt nicht ausstehen kann.<br />
ich gehe hoch auf die belebte, in grünen & roten neonbuchstaben fl<strong>im</strong>mernde<br />
nebenstraße der corrientes & warte auf meine geliebte 17, die mich bis vor die<br />
tische des caffee de la paix in der recoleta bringt, wo um diese zeit hochbetrieb<br />
herrscht für hüftkranke, gutgekleidete porteños. bis zum sonnenaufgang werde<br />
ich die laue sommernacht bei ein paar überteuerten drinks rumbringen.<br />
21 dichtung<br />
die poeten der runden, sich drehenden erde sind ausgestorben, ausgewandert oder<br />
ausgetrocknet. sie haben den mut oder die fertigkeit verloren & bringen nix auf<br />
die reihe, außer ein paar tote, faulende, feuilletonistisch hochgelobte buchstaben<br />
über den schmerz der welt oder die einzig wahre, echte liebe, leider unerfüllt & von<br />
haus aus unerreichbar. sie fingern an faden wortfetzen, die sowieso kein mensch<br />
braucht, & haben von dichtung, der dichten verkettung von sprache schon gar<br />
keinen blassen dunst. die einzigen, noch lebenden poeten arbeiten <strong>im</strong> team in den<br />
großen werbehäusern in são paulo, mexico city oder sonstwo in einer einigerma-<br />
ßen netten stadt & sind in der lage, uns mit erfundenen, kurz erzählten, prallen<br />
geschichten zu füttern. sie erzeugen in einem langen, gruppendynamischen vor-<br />
gang der verdichtung neue denkmuster & erzählen uns aufregende liebesgeschich-<br />
ten, leicht bekömmlich <strong>im</strong> 45 sekundenrhythmus, gut verdaubare familiensagas<br />
in eineinhalb minuten & vergessen dabei nichtmal auf das beknackte produkt<br />
aufmerksam zu machen, für dessen werbung sie bezahlt werden. sie arbeiten an<br />
einer neuen, schnell begreifbaren, flockigen bildersprache, mit der sich all das,