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14 DER JUNGFRAU ZU EHREN 97<br />
graue barockkirche der heiligen mutter des nichtexistierenden götzen. bepflastert<br />
& schattenlos beherbergt der platz unterirdisch aus allen teilen mexicos angereiste<br />
tanzgruppen. sie haben sich in den riesigen kellerraum in kleine abteile zurück-<br />
gezogen, um <strong>im</strong> kühlenden, lichtlosen gewölbe auf den auftritt zu warten. kinder<br />
aller altersstufen dösen <strong>im</strong> halbdunkel, proben ein paar tanzschritte, den feder-<br />
schmuck auf den fußboden gelegt oder auf eine leine gehängt. andere lauschen<br />
aufmerksam den geflüsterten anweisungen ihres anführers oder richten ihre far-<br />
bige uniform, während nur 3 m über ihnen die helle mittagssonne unbarmherzig<br />
ihre brennenden strahlen senkrecht auf die freie, schattenlose fläche schickt.<br />
ich hole mir in der farmacia an der ecke 2 kühle anderthalbliterflaschen wasser<br />
& trinke die erste in einem zug weg, um gestärkt <strong>im</strong> menschenstrom einzutau-<br />
chen. der vorhof der kapelle ist mit einem mannshohen metallzaun aus lanzen<br />
abgesperrt, so daß der schwarm durch 2 durchlässe dirigiert wird. dumpfe trom-<br />
melschläge aus allen richtungen geben der geduldigen prozession den takt an. von<br />
schirmen geschützt & mit tüchern auf der stirn, zieht eine kolonne in 10er reihen<br />
cm-weise auf die kleine, graue kirche zu, beaufsichtigt vom glühenden licht der<br />
mittagssonne & einer mönchskutte auf dem balkon über dem portal.<br />
hinter dem gitter wohnt in stein & holz gehauen der aberglaube derer, die eine<br />
trübe einbildung dem klaren verstand vorziehen. mit unzähligen menschen werde<br />
ich in die winzige kapelle gedrückt. ich kann zuerst nix erkennen. weiter vorne vor<br />
einer absperrung sammeln emsig wie bienen 4 diener des außerirdischen münzen<br />
& scheine & alles, was sie kriegen können, in einen kleinen stoffbeutel. sie stehen<br />
neben einer abgegriffenen holzfigur, einer frau mit einem säugling auf dem arm.<br />
sie schauen geprügelt drein & verteilen deshalb heiligenbilder. einige drängeln vor<br />
& bringen blumen für die ehrwürdige madonna. ein amtsmann in kutte preßt sie<br />
kurz an die holzpuppe, um sie dann in eine plastikschale zu werfen, wo sie in<br />
einem kleinen bach mit den näxten gaben auf den fußboden fallen. ein junge ist<br />
damit beschäftigt, die pflanzen beiseite zu kehren.<br />
die älteren mütter mexicos, die ihre jungen & ihre verheirateten söhne samt<br />
ihrer familien zu dieser für ihr geistiges leben wichtigen veranstaltung mitbrach-<br />
ten, zergehen jetzt in tränen, nach innen schon lange weinend, weniger wegen<br />
dem ständigen geschiebe oder der schlechten luft <strong>im</strong> winzigen, überfüllten raum,<br />
sondern wegen der dringend benötigten essensmarken, deren mangel kaum zum