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Spucke im Mund

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21 DICHTUNG 135<br />

was wir uns vorstellen, ausdrücken läßt, bauen uns in 4 schnitten pro sekunde<br />

ein gefühl in den kopf, von dem wir bis dato nichtmal wußten, daß es dafür ei-<br />

ne chemische rezeptur in unseren gehirnen gibt, füttern uns mit eindrücken von<br />

unbekannten, ersehnten welten & erfinden eine neue, längst nötige, längst fällige<br />

form der sprache, die den schnellebigen inhalt überhaupt erst übertragen kann.<br />

solltest du zu der gemeinde der switcher gehören, die auch zaper heißen oder<br />

channel crosser oder sowienoch, & sich mehrere programme durch schnelles hin-<br />

& herschalten gleichzeitig anschauen, so bist du längst ein fan der neuen dicht-<br />

kunst geworden. die lässig gemachten werbespots bieten die art der erzählung<br />

in hochform, die wir, da wir <strong>im</strong> standgas zu hoch laufen, wegen ihrer geschwin-<br />

digkeit schätzen, für zwischendurch & so, & um die schrift mit dem sowieso zu<br />

kurzen leben zu versöhnen. bilder, die von dem strotzen, von dem sie handeln,<br />

namentlich von liebe ohne nacktem fleisch, von 2 leuten, die sich gerade finden,<br />

von ganz vielen, die schon so viel zusammen gemacht haben, mit einer geschwin-<br />

digkeit & fülle, die nichtmal vom knappen leben eingeholt werden kann, fesseln<br />

uns in einsamen nächten lange vor der fl<strong>im</strong>mernden kiste, obwohl wir doch schon<br />

längst müde sind & eigentlich schlafen wollten.<br />

bleibt mir also weg mit erfundener, nicht gelebter, langwierig & umständlich<br />

erzählter literatur, die sich einen abbricht, um dann nix anderes als das alte rein<br />

raus <strong>im</strong> auge zu haben, die in völlig verkrampften geschichten das sucht, was<br />

das sowieso zu kurze leben augenblicklich für deren schreiber nicht zu bieten hat,<br />

die aus blutarmut & lebensunfähigkeit lieber fabuliert & erfindet, als selbst zu<br />

erfahren & zu erleben, die sich eher traurig was zusammenlügt, als der lachenden<br />

wahrheit ins hellblaue auge zu schauen, weit geöffnet für jeden, der sich lieber<br />

auf die suche macht, als in den träumen anderer eine he<strong>im</strong>at zu finden.<br />

wenn schon weltfremd, dann bitte mitten auf der runden, sich drehenden erde<br />

mit all ihren nachteilen, all der scheiße, die tagtäglich abgeht. aber bitte nicht<br />

trostlose sachen schön lügen, oder den dumpfen, tristen knast mit einer farbta-<br />

pete klausbunt verkleiden, damit die betonwand dahinter nicht zum vorschein<br />

kommt. lieber werde ich als touri in einer blöden kneipe über den tisch gezogen,<br />

als zu hause davon zu träumen, meine einzig wahre liebe zu treffen, die ohnehin<br />

in genau den entgegengesetzten zug einsteigt wie ich, falls ich überhaupt in einen<br />

zug einsteige, um sie zu suchen oder sowas in der art. lieber stehe ich ohne hoff-

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