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Spucke im Mund

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12 VORABEND 87<br />

los besetzt, genauso wie die stufen am brunnen. wer keinen unechten bart zum<br />

ankleben hat oder keine fingergroße metallfigur, die sich be<strong>im</strong> drehen windet wie<br />

eine tänzerin, wer ohne süßen lutscher herkam & ohne kaugummi oder ohne ziga-<br />

retten, wer keine faustgroße plastiktüte mit süßem saft in der hand hält, läßt sich<br />

jetzt von den vorbeiziehenden verkäufern die auswahl zeigen, um sich einzudecken<br />

bis an die letzten tage der runden, sich drehenden erde. die luft ist rauchig vom<br />

holzkohlefeuer & gesättigt vom geruch gebratenen rindfleischs & heiß gebacke-<br />

ner maisfladen. zu beiden seiten der 16 de septiembre stehen die menschen dicht<br />

gedrängt auf den stufen einer metalltribüne, vor ihnen das portal der beiden 40<br />

m hohen kathedralenschiffe, mit palmen & bast geschmückt. ein mann & eine<br />

frau ziehen vorbei, beide <strong>im</strong> rollstuhl, mit einem kind auf dem schoß der frau. sie<br />

werden weitergeschoben, wie alle, die durch den menschenhaufen schw<strong>im</strong>men.<br />

hinter der kirche bildet sich ein 20 m langer gang in der brodelnden menge. 2<br />

dutzend junge trommler springen in 2er reihen mit einer fahne & 2 riesigen, langen<br />

peitschen von einem ende zum anderen. die teilnehmer des kleinen schwarms<br />

tragen alle das gleiche kostüm, eine weinrote jacke & eine dunkle samthose, einige<br />

mit einer tiefen baßtrommel um die hüften oder einer hellen pfeife <strong>im</strong> mund. mit<br />

schrillen pfiffen & laut knallenden peitschenschlägen halten sie den schweiß der<br />

staunenden menge beiseite.<br />

ich ziehe mich auf einen gekühlten karottensalat in ein caffee zurück, mir<br />

gegenüber am tisch eine indiofrau. sie hat das alter meiner mutter, das alter jeder<br />

mutter, die grauen haare in einem langen zopf nach hinten gebunden. sie streicht<br />

sich in bedächtiger handbewegung, als wolle sie eine feder fangen, die strähnen aus<br />

dem sonnengebräunten, faltigen gesicht. es ist zeit für einen dunklen caffee mit viel<br />

zucker, den sie sich mit dem verkauf von papas verdient. ihre grau karierte schürze<br />

reicht bis über die waden, wo ein rotbunter rock ihre füße bedeckt, die <strong>im</strong> sitzen<br />

auf der querleiste des stuhles ausruhen & kaum die ockerfarbenen steinfließen<br />

des fußbodens erreichen. 2 schwarze augen schauen wie hinter einer lesebrille<br />

prüfend auf den korb mit den tüten handgemachter kartoffelchips, zu einem peso<br />

die portion. die alte greift seitlich herab in die tasche ihrer schürze & beginnt<br />

andächtig & genau abwägend, mit den münzen kleine türmchen auf der plastik-<br />

tischdecke zu stapeln, jeweils einen peso stark. wieder & wieder zählt sie das<br />

blech, während ihre stirn runzeln wirft, bis die flügel der schlanken adlernase nach

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