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22 BRASIL 140<br />
sitzen, die den kapitalismus von haus aus & wegen objektiver gründe dereinst<br />
ablösen wird. alles schmu, alles dummes zeug. die geschichte löst niemanden ab,<br />
nichtmal sich selbst & schon gar nicht den kapitalismus. & der hat überhaupt<br />
nicht vor, wegen objektiver gründe, wie zum beispiel wegen seiner regelmäßig<br />
wiederkehrenden krisen, in denen weite teile des menschlichen kapitals brachlie-<br />
gen, den löffel abzugeben, sondern besteht genau solange weiter, wie er weiterbe-<br />
steht & wie die vielen einzelnen nix gegen ihn unternehmen, trotz der objektiven<br />
gründe, die sich keiner einleuchten läßt. erst wenn den vielen einzelnen die vielen,<br />
guten argumente gegen eine gesellschaftsform einleuchten, die von privateigentum<br />
best<strong>im</strong>mt ist, erst wenn sie gewillt & in der lage sind, sich gegen eine trennung<br />
von arbeit & besitz auszusprechen, um sie zu beenden, gegen die abhängigkeit von<br />
den rechnungsarten der geschäftswelt & gegen die privatisierung des erarbeiteten<br />
reichtums, erst dann beginnt fräulein geschichte sich zu besinnen, genauso wie<br />
die besitzer von sowas wie kapital sich besinnen werden, um alles in ihrer macht<br />
stehende einzusetzen, die vorrechte zu verteidigen, die sie in materieller hinsicht<br />
genießen. was dann als kleiner, kurzer, heftiger kampf folgt, bei dem durchaus der<br />
eine oder andere uneinsichtige, halsstarrige kopf rollen mag, ist weithin unter dem<br />
begriff revolution gefaßt worden & bleibt zur zeit nix weiter als zukunftsmusik,<br />
weit entfernt, von den vielen einzelnen verstanden oder gar gewollt zu werden.<br />
soviel dazu.<br />
nach einem langen fußmarsch durch die endlosen häuserschluchten, über denen<br />
kaum je die sonne durch den wolkenbehangenen h<strong>im</strong>mel scheint, setze ich mich<br />
am abend in eine hellblau gestrichene bar unterhalb der cathedral da sé & bestelle<br />
ein omelette mit fejão & reis. wie aus heiterem h<strong>im</strong>mel schneit ein weißes kleid an<br />
mir vorbei an den tresen, ordert eine caipirinha & lächelt mich breit an. julia hat<br />
mehrere jahre <strong>im</strong> westen verbracht & einen sohn, dessen ausländischer vater zur<br />
zeit sein glück in einer kneipe an der copacabana sucht & sie wenigstens in ruhe<br />
läßt. wir nehmen 2 caipirinhas, & sie erzählt von reisen nach indien & europa,<br />
von ihrem 7 jahre alten sohn, für den sie arbeitet, & ihre breite oberlippe zieht<br />
sich zu einem breiten grinsen nach oben.<br />
“jemand hat dich bereits geküßt“, sage ich & deute auf das oberteil ihres<br />
weißen kleides, auf den roten fleck aus lippenstift. wir lachen beide & beschlie-<br />
ßen, den abend gemeinsam mit der suche nach etwas gras zu verbringen. uns