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m unter massive steinblöcke gelegt, so daß vom grölen der motoren nix mehr zu<br />
hören ist, es sei denn, einer hält sein ohr über einen der breiten, vergitterten<br />
lüftungsschächte an der plaza tapatia oder der gegenüber gelegenen esquina del<br />
diabolo, der ecke, die vor 400 jahren den kolonialzeitmäßigen propagandaapparat,<br />
die inquisition der heiligen katholischen kirche, beherbergte. augenblicklich ste-<br />
hen die kids über den gittern & lassen ihre riesigen hüte & die leeren plastiktüten<br />
von der aufsteigenden luft in den h<strong>im</strong>mel tragen.<br />
von meinem hotel in der morelia bis zur 2türmigen hauptkirche sind es 3<br />
minuten fußweg, & ich setze mich, die schuhe frisch geputzt, am vorabend der<br />
alljährlichen jungfrauenverehrung in bewegung, um meinen magen mit den lecke-<br />
reien der straßenhändler & garküchen zu füllen. über dem zentrum der stadt liegt<br />
eine eigenartige unruhe, wie in einer insektenkolonie kurz vor dem hochzeitsflug.<br />
die luft ist schwer vom durchdringenden, bläulich süßen duft gebackener maisfla-<br />
den. mit fleisch gefüllt werden sie tausendfach in den händen hungriger menschen<br />
zu stielen gerollt & gegessen. ich stehe auf der gepflasterten, autofreien avenida<br />
hidalgo neben dem platz vor der kathedrale, der überfüllt ist mit frisch verlieb-<br />
ten heteropärchen & riesigen, 5 generationen alten familienclans, mit singenden<br />
händlern, klausbunten tänzern, gruppen grell geschminkter mädchen & junger<br />
männer & all denen, die dem spektakel der jungfrauenverehrung beiwohnen wol-<br />
len. es w<strong>im</strong>melt von menschen. neben mir preist irgend jemand sonnenbrillen<br />
an.<br />
“son a cinco, cinco, cinco, son nuevo, son de novidad, son a cinco, cinco,<br />
cinco, son nuevo, son de novidad.“ sein lied geht mir wie eine bekannte melodie<br />
ins ohr. zwischen meinen füßen liegen audiokassetten, jojos, strohhüte, schürzen,<br />
tonpfeifen, parfümflacons, ledertrommeln, kinderkleider, tücher & verschiedene<br />
formen von weihrauch auf den riesigen steinquadern genau vor den fenstern eines<br />
gut gefüllten kaufhauses. ein pulk menschen schiebt mich mit 3 durados in der<br />
hand auf den platz vor die kathedrale.<br />
neben dem runden steinbrunnen finde ich halt unter einem quadratisch ge-<br />
schnittenen tabachinbaum. männer machen sich hastig an einem bambusgestell<br />
zu schaffen, das 7 m in den hell erleuchteten nachth<strong>im</strong>mel hinein ragt. über uns<br />
schwirren millionen insekten, angezogen vom licht, dem geruch der maisfladen &<br />
den zigtausend menschen auf dem platz. die steinbank unter dem baum ist rest-