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Gewalt und Zwang in der stationären Psychiatrie - Aktion Psychisch ...

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Sexuelle <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Psychiatrie</strong><br />

Helga Kühner<br />

Als S. Freud 1909 das erste Mal den Begriff „Gegenübertragung“ verwandte <strong>und</strong><br />

später die Abst<strong>in</strong>enz als Qualitätskriterium für die psychoanalytische Behandlung<br />

e<strong>in</strong>führte, hatte zuvor se<strong>in</strong> Liebl<strong>in</strong>gsschüler <strong>und</strong> Kronpr<strong>in</strong>z C.G. Jung e<strong>in</strong>e<br />

Liebesaffäre mit e<strong>in</strong>er sehr jungen Frau (zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Behandlung war sie 19<br />

Jahre alt), die er zunächst <strong>in</strong> <strong>der</strong> psychiatrischen Kl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Zürich (Burghölzli), wo<br />

er als Oberarzt arbeitete, <strong>und</strong> später ambulant behandelte. Die Patient<strong>in</strong> war<br />

Sab<strong>in</strong>a Spielre<strong>in</strong>, die später Mediz<strong>in</strong> studieren <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e psychoanalytische Ausbildung<br />

absolvieren sollte. C.G. Jung war verheiratet <strong>und</strong> 10 Jahre älter. Die<br />

Geschichte drohte zu e<strong>in</strong>em Skandal zu werden, als sich die Frau Jungs anonym<br />

an Sab<strong>in</strong>a Spielre<strong>in</strong>s Mutter <strong>und</strong> diese sich wie<strong>der</strong>um an Jung <strong>und</strong> Freud<br />

wandte. Jung stritt zunächst alles ab. Zwischen Freud <strong>und</strong> Jung entwickelte sich<br />

e<strong>in</strong> Briefwechsel, <strong>der</strong> die Kumpanei <strong>der</strong> beiden Männer offenbart. Freud versucht<br />

zu bagatellisieren <strong>und</strong> Jung zu trösten, da dieser unter Schuldgefühlen litt.<br />

In e<strong>in</strong>em Brief an Jung schreibt Freud, daß „er selbst zwar nicht ganz so here<strong>in</strong>gefallen<br />

sei, aber e<strong>in</strong>ige Male nahe daran gewesen sei“. Die Patient<strong>in</strong> wird als<br />

die Verführer<strong>in</strong> dargestellt. Für Sab<strong>in</strong>a Spielre<strong>in</strong> gab es von beiden Männern<br />

ke<strong>in</strong>e Worte <strong>der</strong> Tröstung o<strong>der</strong> gar das E<strong>in</strong>geständnis e<strong>in</strong>es Behandlungsfehlers.<br />

Und dies, obwohl, wie gesagt, unter dem E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> Geschehnisse das<br />

Phänomen <strong>der</strong> Gegenübertragung entdeckt <strong>und</strong> die Abst<strong>in</strong>enzregel e<strong>in</strong>geführt<br />

wurde. Sab<strong>in</strong>a Spielre<strong>in</strong> hatte an den Folgen <strong>der</strong> Affäre lange zu leiden. C.G.<br />

Jung brach die Psychotherapie abrupt ab. Sie konnte sich von ihm jedoch nicht<br />

lösen, <strong>und</strong> sie führten noch lange e<strong>in</strong>en Briefwechsel. Sie litt unter vermehrten<br />

Unruhezuständen <strong>und</strong> wechselte häufig den Wohnsitz. Später g<strong>in</strong>g sie e<strong>in</strong>e unglückliche<br />

Ehe e<strong>in</strong>. Es sche<strong>in</strong>t jedoch, daß es ihr gelang, ihre Aggressionen zu<br />

sublimieren, beispielsweise durch ihren Essay „Die Destruktion als Ursache des<br />

Werdens“. Ihre psychoanalytischen Schriften wurden von Freud häufig abgelehnt,<br />

obwohl er sie <strong>in</strong>haltlich später übernahm. Bis zur Entdeckung des Briefwechsels<br />

Spielre<strong>in</strong>/Jung/Freud im Jahr 1977 waren ihre Werke völlig <strong>in</strong> Vergessenheit<br />

geraten.<br />

Mit diesem Beispiel aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Psychotherapie wird e<strong>in</strong>e typische<br />

Konstellation, bei <strong>der</strong> allerd<strong>in</strong>gs die weniger romantischen Aspekte weitgehend<br />

fehlen, für sexuellen Mißbrauch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Psychiatrie</strong> <strong>und</strong> Psychotherapie dargestellt.<br />

Der Psychiater o<strong>der</strong> Psychotherapeut ist deutlich älter als se<strong>in</strong>e junge Patient<strong>in</strong>.<br />

Er achtet darauf, daß die Sache nicht an die Öffentlichkeit kommt. Er läßt die<br />

Psychotherapie neben <strong>der</strong> sexuellen Beziehung bestehen, <strong>und</strong> er verlangt e<strong>in</strong><br />

Honorar. Er bricht die Therapie ab, wenn sich Schwierigkeiten mit <strong>der</strong> Patient<strong>in</strong><br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Umfeld ergeben werden. Die Patient<strong>in</strong> wird sich zunächst wie e<strong>in</strong>e<br />

Auserkorene fühlen. Ihre Verliebtheit ist mit e<strong>in</strong>em unguten Gefühl gepaart. Im<br />

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