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Gewalt und Zwang in der stationären Psychiatrie - Aktion Psychisch ...

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man ihr e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Weg des ‘H<strong>in</strong>ter-die Scheibe-Schauens’ eröffnet hätte.<br />

„Ich war <strong>in</strong> emphatischem Kontakt mit jemandem, <strong>der</strong> für mich h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Scheibe<br />

war, den ich unbed<strong>in</strong>gt sprechen mußte.“ Jedoch habe ke<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />

des Vere<strong>in</strong>s für Betreutes Wohnen sie je gefragt, warum sie Scheiben zerschlüge.<br />

E<strong>in</strong> letztes Beispiel: Frau B. hat ihren manisch erkrankten Ehemann auf e<strong>in</strong>er<br />

<strong>der</strong> psychiatrischen Akutstationen <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik Gilead IV <strong>in</strong> den von Bodelschw<strong>in</strong>ghschen<br />

Anstalten Bethel mehrere Tage <strong>und</strong> Nächte lang begleitet. Im Rahmen<br />

<strong>der</strong> regelmäßig stattf<strong>in</strong>denden Trialoggespräche beschreibt sie e<strong>in</strong>e Episode, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> sich e<strong>in</strong> heftiger R<strong>in</strong>gkampf zwischen ihr <strong>und</strong> ihrem Mann entsp<strong>in</strong>nt.<br />

Wörtlich: „Ich habe das Empf<strong>in</strong>den, bei e<strong>in</strong>em Erfor<strong>der</strong>nis parat se<strong>in</strong> zu müssen<br />

<strong>und</strong> reagiere <strong>und</strong> agiere ohne Furcht.“ Irgendwann habe sie das Gefühl gehabt,<br />

ihren Mann im doppelten S<strong>in</strong>n „im Griff zu haben“.<br />

Gerade <strong>in</strong> diesem Augenblick öffnet sich die Tür. Mitarbeiter halten den Augenblick<br />

für gekommen, an dem legitimerweise „gewaltüberwältigende <strong>Gewalt</strong>“ (Ralf<br />

Seidel) e<strong>in</strong>zusetzen ist. Sie kommen <strong>und</strong> fixieren Herrn B. Dazu Frau B.: „Der<br />

Kampf zweier Menschen, <strong>der</strong> – von außen betrachtet – wie e<strong>in</strong> Kampf gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

aussehen muß, den ich aber <strong>in</strong>nerlich wie e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Kampf<br />

durch e<strong>in</strong>e Spitze e<strong>in</strong>er Psychose erlebte, ist vorbei.“<br />

Sie beschreibt dann den für sie <strong>und</strong> ihren Mann äußerst schmerzlichen Vorgang<br />

<strong>der</strong> Fixierung <strong>und</strong> gibt den vorsichtigen H<strong>in</strong>weis auf vielleicht möglich gewesene<br />

Fragen, z.B.: Geht es noch? Brauchen Sie Hilfe? Sollte jemand im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />

bleiben? – o<strong>der</strong> ähnliches.<br />

Die Pflege <strong>der</strong> Kultur des nicht-rout<strong>in</strong>ierten, son<strong>der</strong>n zögernd fragenden Herangehens<br />

an Situationen wie die erwähnten erfor<strong>der</strong>t allerd<strong>in</strong>gs Rahmenbed<strong>in</strong>gungen,<br />

die wir vielerorts noch nicht erreicht haben <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Status quo gegenwärtig<br />

an vielen Stellen <strong>in</strong> gefährlicher Weise demontiert wird. Ich werde darauf<br />

zurückkommen.<br />

Bei <strong>der</strong> bisherigen Betrachtung des Mikrokosmos <strong>Psychiatrie</strong> habe ich den Aspekt<br />

<strong>der</strong> Gegenseitigkeit <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> gerückt. Mag Herr Gabriel auch noch so<br />

sehr den Blick auf se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Götterfunken richten, ob es um se<strong>in</strong>etwillen zu<br />

gewaltsamen Handlungen kommt o<strong>der</strong> nicht, entscheidet sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sphäre des<br />

Umgangs zwischen ihm <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en. Endogene <strong>Gewalt</strong> gibt es nicht.<br />

Die Frage, warum es sogar bisweilen vorkommt, daß e<strong>in</strong> Patient se<strong>in</strong>en Arzt<br />

o<strong>der</strong> Therapeuten tötet, formulierte <strong>der</strong> Psychiater PRINZHORN zu se<strong>in</strong>er Zeit<br />

<strong>in</strong> folgen<strong>der</strong> Weise: „Was mag z w i s c h e n (Hervorhebung durch R. S.) den<br />

beiden Entsetzliches gespielt haben, daß <strong>der</strong> Hilfesuchende sich so <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gegenteil<br />

verwandelt – daß er se<strong>in</strong>en Helfer vernichten muß?“ 10<br />

Den Schwerpunkt auf diesen Bereich des „Zwischen“ setzt z.B. auch Teddy HUB-<br />

SCHMID, wenn er betont, daß <strong>Gewalt</strong>tätigkeit gr<strong>und</strong>sätzlich als „e<strong>in</strong>e verzweifelte<br />

Form von Kommunikation aus e<strong>in</strong>er Überfor<strong>der</strong>ungssituation heraus“ 6 anzu-<br />

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