Gewalt und Zwang in der stationären Psychiatrie - Aktion Psychisch ...
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3. Problemverschiebungen<br />
Schien es nicht so, daß die geme<strong>in</strong>depsychiatrische Verheißung die Antwort<br />
wußte, die uns solche Enttäuschungen ersparen würde? Vielleicht werden unsere<br />
Nachkommen von uns sagen, daß wir mit unseren geme<strong>in</strong>depsychiatrischen<br />
Ideen zwar ziemlich nahe daran waren, gewaltfreiere Beziehungsformen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>Psychiatrie</strong> zu verwirklichen, daß wir aber nach dem ungebremsten Motto 'Mehr<br />
desselben' die totale Institution noch zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt bekämpft hätten, als es<br />
sie schon gar nicht mehr gab. Das habe dann den Blick allzu sehr von dem<br />
eigentlichen Brennpunkt, <strong>der</strong> Ebene gelebter Beziehungen <strong>und</strong> Begegnungen,<br />
abgelenkt <strong>und</strong> auch verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t wahrzunehmen, daß diese Ebene längst von e<strong>in</strong>er<br />
ganz an<strong>der</strong>en Front her bedroht war. Unsere Nachfahren werden den Zeitpunkt<br />
beschreiben, an dem die psychisch kranken Menschen <strong>in</strong> den Großstädten<br />
anf<strong>in</strong>gen zu verarmen, auch die letzten noch mühsam arrangierten Beschäftigungs-<br />
<strong>und</strong> Arbeitsplätze verloren g<strong>in</strong>gen, schmerzhafte E<strong>in</strong>samkeit das<br />
Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de kennzeichnete, Alkohol <strong>und</strong> Drogen immer mehr <strong>in</strong> Anspruch<br />
genommen wurden <strong>und</strong> <strong>in</strong>folgedessen immer mehr Patient<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Patienten als gewalttätig <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung traten. <strong>Psychisch</strong> kranke Menschen seien<br />
damals <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Zwischenland geraten e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>erseits repressionsfreieren <strong>Psychiatrie</strong><br />
bei gleichzeitig zunehmen<strong>der</strong> Verarmung <strong>und</strong> Vernachlässigung. Ke<strong>in</strong>er<br />
habe damals die verzweifelten <strong>und</strong> verzagten Gesichter <strong>der</strong> Menschen gesehen,<br />
die überflüssig geworden waren <strong>und</strong> für die <strong>Gewalt</strong> um ihrer selbst willen<br />
zunehmend mehr zur letzten Individualisierungschance wurde, zum letzten Beweis<br />
dafür, daß überhaupt etwas ist <strong>und</strong> nicht nichts. Vielmehr habe die beschriebene<br />
Entwicklung die im S<strong>in</strong>ne von GOFFMANN zu erwartenden Repressions<strong>in</strong>stanzen<br />
auf den Plan gerufen; Instanzen, die nicht duldeten, daß das<br />
„postmo<strong>der</strong>ne Vergnügen“ am freien Konsum durch – wie auch immer def<strong>in</strong>ierte<br />
– Konsumversager gestört wird. Immer ausgeprägter wurde die „Tendenz, die<br />
gesellschaftlich produzierten Probleme zu krim<strong>in</strong>alisieren.“ 1 Den Beg<strong>in</strong>n dieses<br />
Prozesses, werden unsere Nachkommen vielleicht entschuldigend sagen, hätten<br />
wir Zeitgenossen schlecht erkennen können. Er sei mit fortschrittlichen Begriffen<br />
wie Autonomie, Individualisierung <strong>und</strong> Freiheit daher gekommen. Deren<br />
schleichende Vermählung mit mehr, o<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong> verdeckten ökonomischen Metaphern<br />
wie ‘Qualitätssicherung’, ‘Globalisierung’, ‘notwendige Anpassungsmaßnahmen’,<br />
‘Humankapital’, ‘Produktoptimierung’ sei schlecht erkennbar gewesen.<br />
Die Beziehungsbeschreibung von Klient<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Klienten als ‘K<strong>und</strong>en’<br />
o<strong>der</strong> ‘Nutzer<strong>in</strong>nen’ sei zunächst als beson<strong>der</strong>s fair <strong>und</strong> klar empf<strong>und</strong>en worden.<br />
Erst als die Rede von den ökonomisch <strong>in</strong>aktiven Individuen aufkam, sei deutlich<br />
geworden, daß <strong>der</strong> totale Markt <strong>in</strong>zwischen alle Rahmenbed<strong>in</strong>gungen diktierte,<br />
daß Freiheit, für die sich Reformer <strong>und</strong> Selbsthilfe<strong>in</strong>itiativen e<strong>in</strong>gesetzt hatten,<br />
unter <strong>der</strong> Hand zur Konsumfreiheit mutiert war. Dr<strong>in</strong> se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> draußen se<strong>in</strong> war<br />
längst nicht mehr e<strong>in</strong>e Frage, die sich an Institutionen festmachte, son<strong>der</strong>n an<br />
<strong>der</strong> Fähigkeit „am Konsumentenspiel teilzunehmen“ 1 o<strong>der</strong> nicht.<br />
In e<strong>in</strong>em ganz an<strong>der</strong>en historischen Rückblick, nämlich dem <strong>der</strong> Anstaltsentstehung,<br />
sagt BLASIUS: „Das historische Problem ist (deshalb) nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grün-<br />
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