Gewalt und Zwang in der stationären Psychiatrie - Aktion Psychisch ...
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2.3.2 Die Delegierten<br />
Unsere Erfahrungen mit den Atelierveranstaltungen <strong>und</strong> die zunehmende Anzahl<br />
von BesucherInnen <strong>in</strong> unserer Kl<strong>in</strong>ik ließen zunächst die Idee aufkommen,<br />
Besuchergruppen als ‘soziale Ressource’ für unsere PatientInnen zu def<strong>in</strong>ieren:<br />
Wir gründeten – professionelle HelferInnen <strong>und</strong> NutzerInnen geme<strong>in</strong>sam – die<br />
Institution ‘Empfangskomitee’, die die Aufgabe übernehmen sollte, Besuchergruppen<br />
zu betreuen. Konkret bedeutet dies, daß PatientInnen aller Stationen<br />
die Möglichkeit gegeben wird, als Abgesandte ihrer Station die Führung hospitieren<strong>der</strong><br />
Gruppen <strong>Psychiatrie</strong>-Professioneller <strong>in</strong> eigener Verantwortung ohne<br />
professionelle Beteiligung durchzuführen. In Vor- <strong>und</strong> Nachgesprächen werden<br />
dann <strong>in</strong> ansprechen<strong>der</strong> Atmosphäre (an gedeckten Tischen bei Kaffee <strong>und</strong> Kuchen)<br />
geme<strong>in</strong>sam mit sich multiprofessionell zusammensetzenden MitarbeiterInnen<br />
<strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik Erfahrungen ausgetauscht <strong>und</strong> Modalitäten erarbeitet, um für<br />
alle Beteiligten – dies s<strong>in</strong>d die ‘Delegierten’ <strong>der</strong> Stationen sowie die übrigen PatientInnen<br />
– e<strong>in</strong>e positive Wirkung zu erreichen.<br />
Die offensichtliche Bedeutung <strong>der</strong>artiger Empfangskomitees, durch e<strong>in</strong>en Rollentausch<br />
zu mehr Selbstwertgefühl zu f<strong>in</strong>den, ist von vielen beteiligten PatientInnen<br />
beschrieben worden; e<strong>in</strong>drucksvoll ebenfalls <strong>der</strong> Verlust von sozialen<br />
Ängsten, z.B. vor e<strong>in</strong>er Gruppe zu sprechen. Subtiler geht es aber auch um die<br />
Erlebensebene „Autonomie“: Die zeitliche Beschränkung bed<strong>in</strong>gt, die Uhr im Auge<br />
haben zu müssen, somit die Verantwortlichkeit für den geregelten Ablauf <strong>der</strong><br />
Hospitation übernehmen zu müssen <strong>und</strong> zu können. Dabei handelt es sich im<br />
Kontext <strong>der</strong> Besuchergruppen um e<strong>in</strong> weitgehend unentfremdetes, natürliches<br />
Erleben eigener sozialer Kompetenz.<br />
Die stattf<strong>in</strong>denden vor- <strong>und</strong> nachbereitenden Besprechungen <strong>der</strong> Aktivitäten <strong>der</strong><br />
Empfangskomitees s<strong>in</strong>d ebenfalls <strong>in</strong> diesem Kontext zu betrachten, d.h., <strong>in</strong>wieweit<br />
weichen sie <strong>in</strong> dem entscheidenen Punkt <strong>der</strong> Entfremdung von üblichen<br />
ergotherapeutischen Angeboten ab. Es wird we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> themenzentrierter Gesprächskreis<br />
vorgegeben, noch e<strong>in</strong>e Fabrik, noch e<strong>in</strong> Büro en m<strong>in</strong>iature – se<strong>in</strong>em<br />
eigentlich natürlichen Kontext entb<strong>und</strong>en – <strong>in</strong> die Kl<strong>in</strong>ik h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gesetzt. Vielmehr<br />
geht es um den orig<strong>in</strong>är erlebten Bereich <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik, <strong>der</strong> dem Patienten<br />
bestens vertraut ist; somit wird wie<strong>der</strong>um die „Künstlichkeit“ e<strong>in</strong>er Situation, e<strong>in</strong>es<br />
Sett<strong>in</strong>gs zum<strong>in</strong>dest geschmälert, vielleicht sogar aufgehoben. Da die Kl<strong>in</strong>ik<br />
selbst von <strong>der</strong> Kompetenz <strong>der</strong> Delegierten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Interessenslage <strong>der</strong> BesucherInnen<br />
her im Mittelpunkt steht, ohne – <strong>und</strong> dies ist die nächste Gratwan<strong>der</strong>ung<br />
– den Patienten auf e<strong>in</strong>e asymmetrisch festgeschriebene Tauschbeziehung<br />
durch die Fokussierung se<strong>in</strong>er Patientenrolle zu fixieren, hat <strong>der</strong> biographische<br />
Aspekt se<strong>in</strong>er Krise o<strong>der</strong> die Erfahrung des Krankse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em umfassenden<br />
Rollenensemble e<strong>in</strong>en Platz, ohne krampfhaft negiert werden zu müssen.<br />
Deutlich – auch aus <strong>der</strong> Reaktion vieler BesucherInnen, die beispielsweise <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Abschlußr<strong>und</strong>e <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em benachbarten Eiscafe ihren Betreuern kle<strong>in</strong>e Blumengeschenke<br />
überreichten – wird e<strong>in</strong> sozial adäquater Tauschprozeß, <strong>der</strong> nicht<br />
erst als sprachliche Konstruktion erfahrbar wird.<br />
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