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Gewalt und Zwang in der stationären Psychiatrie - Aktion Psychisch ...

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In den Bezirkskrankenhäusern, beson<strong>der</strong>s aber <strong>in</strong> den Universitätse<strong>in</strong>richtungen<br />

war <strong>der</strong> staatspolitische E<strong>in</strong>fluß natürlich größer. Aber überall gab es die<br />

Möglichkeit, die B<strong>in</strong>nenstruktur durch persönliches Engagement zu humanisieren.<br />

<strong>Gewalt</strong>vermeidung ist beispielsweise immer e<strong>in</strong> persönliches Problem. Und<br />

so gab es eben Unterschiede zwischen verschiedenen E<strong>in</strong>richtungen, die völlig<br />

offene Stationen auf <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en, aber auch e<strong>in</strong> Waldheim auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

zuließen.<br />

Die <strong>Psychiatrie</strong> im Osten war allerd<strong>in</strong>gs aber nicht das von <strong>der</strong> Stasi systematisch<br />

mißbrauchte Instrument <strong>der</strong> E<strong>in</strong>schüchterung <strong>und</strong> Bevorm<strong>und</strong>ung mißliebiger<br />

Personen, wie die Untersuchungskommissionen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> e<strong>in</strong>deutig festgestellt<br />

haben.<br />

Beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> den Polikl<strong>in</strong>iken <strong>und</strong> den Ambulanzen, die psychiatrischen Krankenhäusern<br />

angeschlossen waren, war die <strong>Psychiatrie</strong> vielerorts trotz des unbestrittenen<br />

personellen <strong>und</strong> materiellen Mangels von e<strong>in</strong>er aktivtherapeutischen,<br />

sozialrehabilitativen Orientierung geprägt. Sie tendierte zur aktiv aufsuchenden,<br />

nachgehenden Fürsorge, beson<strong>der</strong>s für die Lebensbereiche Familie, Wohnen,<br />

Arbeit. Dies vollzog sich allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> engen Grenzen von Selbst- <strong>und</strong> Mitbestimmung<br />

<strong>und</strong> unter Ausschluß <strong>der</strong> Öffentlichkeit. Denn nichtstaatliche Organisationsformen<br />

wie Selbsthilfe- o<strong>der</strong> Angehörigengruppen waren <strong>in</strong> den autoritärbürokratischen<br />

Machtstrukturen unerwünscht.<br />

Die staatlich strukturierte Betreuungs<strong>in</strong>tensität, die durchaus auch bevorm<strong>und</strong>enden<br />

Charakter haben konnte, bedeutete für viele psychisch Kranke aber auch<br />

e<strong>in</strong>e Art mobiles beschützendes Milieu, das z.B. bis zum Arbeitsplatz <strong>in</strong> die Betriebe<br />

reichte. Bei e<strong>in</strong>er Zurücksetzung, Ungleichbehandlung o. ä. war gleich die<br />

Fürsorger<strong>in</strong> zur Stelle.<br />

Es macht nachdenklich, wenn wir heute von chronisch psychisch Kranken, die<br />

natürlich nach <strong>der</strong> Wende als Erste ihren Arbeitsplatz verloren haben, zu hören<br />

kriegen, daß sie gerade diese <strong>in</strong>tensive Betreuung vermissen, obwohl sie doch<br />

jetzt alle komplementären Bauste<strong>in</strong>e, wie Kontakt- <strong>und</strong> Begegnungsstätte, betreutes<br />

Wohnen, Selbsthilfegruppen u.v.a.m. haben.<br />

Da haben wir wohl doch zu <strong>in</strong>tensiv betreut <strong>und</strong> die „Hilfe zur Selbsthilfe“ vernachlässigt,<br />

wie den Fürsorger<strong>in</strong>nen nach <strong>der</strong> Wende von ihren westlichen Schwestern<br />

mit Fachhochschulwissen vorgeworfen wurde. Aber nicht nur im Suchtbereich<br />

müssen wir lei<strong>der</strong> oft feststellen, daß die Überbetonung <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen<br />

Freiheitsrechte für viele auch die Freiheit von Arbeit <strong>und</strong> Wohnung bedeutet.<br />

Im Mai 1974 entstanden <strong>in</strong> Brandenburg die „Neun Thesen zur therapeutischen Geme<strong>in</strong>schaft“,<br />

<strong>in</strong> denen die Institution psychiatrisches Krankenhaus kritisiert <strong>und</strong> die<br />

Umwandlung <strong>in</strong> therapeutische Institutionen gefor<strong>der</strong>t wurde.<br />

Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> These 4 (siehe Abb. 4) angesprochene therapeutische Kultur sollte<br />

allen Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Mitarbeitern, Patient<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Patienten e<strong>in</strong>e breite<br />

Mitsprache ermöglichen <strong>und</strong> die Erkenntnis vermitteln, daß jede Aktivität des<br />

E<strong>in</strong>zelnen therapeutisch o<strong>der</strong> antitherapeutisch wirkt.<br />

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