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Gewalt und Zwang in der stationären Psychiatrie - Aktion Psychisch ...

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5. Die gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen zur Ausübung staatlich legitimierter <strong>Gewalt</strong><br />

gegenüber psychisch Kranken <strong>in</strong> Deutschland s<strong>in</strong>d gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

angemessen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Rechtsstaates würdig.<br />

Genau betrachtet folgen die <strong>Psychisch</strong>-Kranken-Gesetze <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> das<br />

Betreuungsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch dem Gr<strong>und</strong>satz: Im Zweifel für<br />

die <strong>in</strong>dividuelle Freiheit. Außerdem geben sie das Recht zur Freiheitsentziehung<br />

<strong>und</strong> die Legitimation zur Anwendung von <strong>Zwang</strong> <strong>in</strong> die Hand <strong>der</strong> dritten <strong>Gewalt</strong>,<br />

nämlich e<strong>in</strong>es Richters. Beide Aspekte – „im Zweifel für die Freiheit“ <strong>und</strong> „ihre<br />

E<strong>in</strong>schränkung ist Sache <strong>der</strong> dritten <strong>Gewalt</strong>“ – dürfen nicht preisgegeben werden<br />

– we<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>e Stärkung des therapeutischen Anspruchs noch durch<br />

e<strong>in</strong>e Ausdehnung <strong>der</strong> Sicherungs- <strong>und</strong> Ordnungs-Komponente. Die jüngere deutsche<br />

Geschichte (NS-Herrschaft, DDR-Staat) lehrt, woh<strong>in</strong> es führt, wenn rechtsstaatliche<br />

Gr<strong>und</strong>sätze fallen o<strong>der</strong> ausgehöhlt werden.<br />

Das Problem liegt – wie so oft – nicht bei den gesetzlichen Normen, son<strong>der</strong>n bei<br />

<strong>der</strong> materiellen Ausgestaltung des Rechts o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Rechtswirklichkeit“. Da ist<br />

es mancherorts sicher nicht zum Besten bestellt.<br />

E<strong>in</strong> Indiz dafür s<strong>in</strong>d z.B. die großen Unterschiede <strong>in</strong> <strong>der</strong> Häufigkeit von <strong>Zwang</strong>se<strong>in</strong>weisungen<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>und</strong> zwischen den deutschen B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n (RIECHER-<br />

RÖSSLER & RÖSSLER 1992, PSYCHOSOZIALE UMSCHAU 1994). Dabei gibt<br />

es sicherlich Abweichungen nach beiden Seiten – also sowohl <strong>in</strong> Richtung auf<br />

e<strong>in</strong>e zu große Freizügigkeit angesichts realen Handlungsbedarfs, als auch <strong>in</strong><br />

Richtung auf e<strong>in</strong>e Dom<strong>in</strong>anz des ordnungsrechtlichen Aspekts <strong>der</strong> Gesetze.<br />

Es bedarf <strong>der</strong> fachlichen Kompetenz, <strong>der</strong> Zivilcourage <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er großen Sorgfalt<br />

im Verfahren, um dem Geist <strong>der</strong> gesetzlichen Bestimmungen gerecht zu werden.<br />

6. Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> gegen psychisch kranke Menschen stellt sich<br />

immer im Spannungsfeld von Bewirken <strong>und</strong> Belassen, Tun <strong>und</strong> Nichtstun.<br />

Schaden zufügen kann ich jemandem auch, <strong>in</strong>dem ich etwas unterlasse, ihm<br />

etwas verweigere, mich abwende <strong>und</strong> die Hände <strong>in</strong> den Schoß lege. Wenn zu<br />

psychiatrischem Handeln unabwendbar auch <strong>Gewalt</strong>anteile gehören, kann man<br />

diesem Dilemma <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht entgehen, <strong>in</strong>dem man schlicht nicht handelt.<br />

Auch das Nicht-Handeln wird nämlich häufig schädliche Konsequenzen haben.<br />

Im extremen Beispiel: jemanden verwahrlosen, von e<strong>in</strong>er Brücke spr<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong><br />

sich tottr<strong>in</strong>ken lassen. Die absolute Ablehnung von <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es „Egalwas-Verbotes“<br />

beruht auf <strong>der</strong> ethisch zutiefst fragwürdigen Unterscheidung zwischen<br />

Handlungen <strong>und</strong> Unterlassungen.<br />

Da aber Tun <strong>und</strong> Nichtstun h<strong>in</strong>sichtlich ihrer konkreten Auswirkungen nicht vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

zu trennen s<strong>in</strong>d, müssen diejenigen, die ke<strong>in</strong>e <strong>Gewalt</strong> anwenden, auch<br />

wenn sie damit größere <strong>Gewalt</strong> verhüten könnten, die Verantwortung für die<br />

<strong>Gewalt</strong> übernehmen, die sie hätten verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n können (vgl. auch die Unterscheidung<br />

von Ges<strong>in</strong>nungsethik <strong>und</strong> Verantwortungsethik bei Max WEBER, ROHLS<br />

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