Gewalt und Zwang in der stationären Psychiatrie - Aktion Psychisch ...
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Das Pulver, an dem sich Selbstverlust zur <strong>Gewalt</strong> entzünden kann, wurde schon<br />
erwähnt: es ist, was wir die „soziale Lage“ nennen – Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit,<br />
gesellschaftliche Ausgrenzung. Und sie alle machen abhängig – von Menschen,<br />
von Ideologien, von Drogen <strong>und</strong> Alkohol.<br />
Dies alles f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> den „schmutzigen Rän<strong>der</strong>n“ <strong>der</strong> Städte, dem Ort, wo die<br />
leben, die sich als Verlierer o<strong>der</strong> gerade als Verlierer<strong>in</strong>nen fühlen müssen. Und<br />
oft s<strong>in</strong>d es die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die glauben, die Nie<strong>der</strong>lagen ihrer Eltern mit <strong>Gewalt</strong> vergelten<br />
zu sollen. – Aber das alles zeigt sich durchaus auch, wenngleich weniger<br />
deutlich nach außen gewandt, an Plätzen sche<strong>in</strong>baren Wohlergehens, wo rasch<br />
wechselnden Trends entliehene S<strong>in</strong>nformeln <strong>und</strong> Markenzeichen Geltung <strong>und</strong><br />
Erfolg bestimmen.<br />
Def<strong>in</strong>ition von <strong>Gewalt</strong><br />
Doch wie muß man das Phänomen <strong>Gewalt</strong>, von dem hier die Rede ist, beschreiben?<br />
Unser Leben ist ohne den „An<strong>der</strong>en“ nicht vorstellbar. Über ihn f<strong>in</strong>den wir zu uns<br />
selbst. So entsteht Gegenseitigkeit. In Gegenseitigkeit gründen Fürsorge <strong>und</strong><br />
Hilfe, <strong>in</strong> ihr wurzelt <strong>Gewalt</strong>. Deren Voraussetzung ist Macht, Macht, die e<strong>in</strong> Wille<br />
über e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Willen ausübt. <strong>Gewalt</strong> wird immer jemand angetan, sie entsteht<br />
durch physisches o<strong>der</strong> psychisches E<strong>in</strong>wirken von Menschen auf Menschen,<br />
oft mit dem Ziel, diese zu bestimmtem Handeln zu zw<strong>in</strong>gen. <strong>Zwang</strong> verweist<br />
dabei auf den Abbruch e<strong>in</strong>er rechtfertigungsfähigen Beziehung. Die Handlungsmacht,<br />
die hier zutage tritt, ist stets Verletzungsmacht. „Im direkten Akt<br />
des Verletzens zeigt sich unverhüllter als <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Machtformen,“ so schreibt<br />
Hermann POPITZ, „wie überwältigend die Überlegenheit des Menschen über<br />
an<strong>der</strong>e Menschen se<strong>in</strong> kann“. (Phänomene <strong>der</strong> Macht, 43). Die <strong>Gewalt</strong>handlung<br />
offenbart, deutlicher als theoretisches Wissen, die Verletzungsausgesetztheit<br />
des Menschen.<br />
Menschliche <strong>Gewalt</strong> ist grenzenlos. Der Mensch alle<strong>in</strong> kann sich über Zwänge<br />
<strong>und</strong> Hemmnisse h<strong>in</strong>wegsetzen <strong>und</strong> ausschließlich nach se<strong>in</strong>en Vorstellungen<br />
handeln. Und auch die menschliche Vorstellungskraft ist unbegrenzt. Sie erweitert<br />
das Tat-sächliche <strong>in</strong>s Unmöglich-sche<strong>in</strong>ende. Dabei trifft sich die Entgrenzung<br />
des Wollens, auch darauf hat POPITZ verwiesen (Ph. d. M., 52), mehr <strong>und</strong><br />
mehr mit <strong>der</strong> Entgrenzung des Könnens. Dennoch: alldem die <strong>Gewalt</strong> betreffend<br />
Menscheneigenen kann sich die menschliche Fähigkeit <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>begrenzung<br />
wi<strong>der</strong>setzen. <strong>Gewalt</strong> resultiert aus Beziehungen o<strong>der</strong> markiert <strong>der</strong>en Abbruch.<br />
So setzt die Erfahrung <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> auch <strong>in</strong> die Lage, Ordnungen zu stiften, die<br />
<strong>Gewalt</strong> vermeiden helfen. FREUD etwa hat dargelegt, wie aus Schuldbewußtse<strong>in</strong><br />
über verübte <strong>Gewalt</strong> gewaltbegrenzende Ordnungen entstehen können.<br />
Doch spätestens hier taucht die Frage nach <strong>der</strong> Legitimität <strong>der</strong> Mittel auf, die<br />
dazu nötig s<strong>in</strong>d, die Frage, wie gewaltüberwältigende <strong>Gewalt</strong> zu bewältigen sei<br />
(POPITZ, 65). Hannah ARENDT hat uns dargelegt, wie rasch sich im Bereich<br />
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