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Bericht der Bundesregierung 2012 - netzwerkB

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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 215 – Drucksache 17/10500dem räumlichen Kontext zu entziehen, in dem ihr Gewaltangetan wird. Trennung ist ein längerer psychologischerProzess, <strong>der</strong> sich zum eigenen bisherigen Leben und zurkonkreten Beziehung neu ins Verhältnis setzt. Diese persönlichepsychologische Dynamik darf nicht mit <strong>der</strong> juristischenEbene vermengt werden, auf <strong>der</strong> nur zu reflektierenist, dass sich die gewaltbetroffene Frau in <strong>der</strong>bisherigen häuslichen Umgebung im konkreten Moment<strong>der</strong> Zuflucht ins Frauenhaus endgültig nicht mehr aufhaltenwill, also sich von dieser Umgebung distanzieren, sichvon ihr trennen will. Allein die Perspektive <strong>der</strong> Frau istumgekehrt auch dann relevant, wenn sie in die früherehäusliche Umgebung zurückkehren will, sofern die Frau<strong>der</strong> Ansicht ist, die Lage sei nicht mehr gewaltgeprägtund gefährde sie nicht mehr (dazu sogleich cc.).(2) ReformoptionenDurch eine Neuformulierung <strong>der</strong> fachlichen Hinweise <strong>der</strong>BA könnte deutlich zum Ausdruck gebracht werden, dass<strong>der</strong> Umzug in ein Frauenhaus ausnahmslos als Aufhebung<strong>der</strong> bisherigen Bedarfsgemeinschaft und Begründung einerneuen Bedarfsgemeinschaft zu werten ist. Nach aller Erfahrunghat die Flucht ins Frauenhaus keine an<strong>der</strong>enGründe als die, sich aus <strong>der</strong> bisherigen gewaltgeprägten Situationzu lösen, was zugleich bedeutet, sich von dem gewalttätigenMitbewohner, dem (Ehe-)Mann, zu trennen.Die neue Bedarfsgemeinschaft entsteht demgemäß unabhängigvon <strong>der</strong> mutmaßlichen Dauer des Aufenthalts imFrauenhaus. Die mutmaßliche Dauer des Aufenthalts imFrauenhaus spricht demnach nicht gegen den Willen, sichvon <strong>der</strong> bisherigen häuslichen Umgebung zu trennen, diedurch die Gewalttätigkeit des (Ehe-)Manns geprägt ist.Alternativ bietet sich eine gesetzliche Klarstellung imSGB II an (z. B. durch Einfügung eines Satzes in § 7Abs. 3 o<strong>der</strong> Abs. 3a), die verdeutlichen könnte, dass <strong>der</strong>wechselseitige Wille, füreinan<strong>der</strong> Verantwortung zu tragenund füreinan<strong>der</strong> einzustehen, fehlt, wenn die Frau (alleino<strong>der</strong> mit ihren Kin<strong>der</strong>n) in ein Frauenhaus gezogen ist.149 § 9, §§ 11 ff. SGB II i. V. m. Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung(Alg II-V).150 § 19, §§ 82 ff. SGB XII.151 § 7 Abs. 1 AsylbLG.bb) Berücksichtigung von Einkommen undVermögen(1) ProblemBei <strong>der</strong> Frage, ob Leistungen nach dem SGB II 149 o<strong>der</strong>dem SGB XII 150 , aber auch nach dem AsylbLG 151 erfolgen,ist zunächst zu prüfen, ob die Leistungen von <strong>der</strong> gewaltbetroffenenFrau aus verfügbarem eigenen Einkommeno<strong>der</strong> Vermögen finanziert werden können. <strong>Bericht</strong>eaus <strong>der</strong> Frauenhaus-Praxis belegen, dass es zwar durchausim Frauenhaus Zuflucht suchende Frauen gibt, dievermögend sind und Zugriff auf ihr Vermögen haben, allerdingsist dies eher selten <strong>der</strong> Fall. Im Übrigen kann esmit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden sein zu ermitteln,ob eine gewaltbetroffene Frau über real verfügbaresEinkommen o<strong>der</strong> Vermögen verfügt, z. B. dann,wenn die Frau einer akuten Gewaltlage bzw. Bedrohungslageentfliehen musste und keine Zeit mehr hatte, Unterlagenmitzunehmen, die ihre finanzielle Situation betreffen.152(2) ReformoptionenDas Problem kann durch Verfahrensabläufe abgemil<strong>der</strong>twerden, die die einstweilen bestehenden Schwierigkeiten,die Einkommens- und Vermögenslage aufzuklären, im Interesse<strong>der</strong> Frau vorläufig regeln (dazu sogleich B. II.).Empfohlen wird zudem, im Interesse eines niedrigschwelligenZugangs zu den Angeboten von Frauenhäuserndie Leistung ohne Rücksicht auf Einkommen undVermögen anzubieten. 153 Insoweit wird vorgeschlagen,sich an § 68 Abs. 2 S. 1 SGB XII zu orientieren, wonachLeistungen zur Überwindung beson<strong>der</strong>er sozialerSchwierigkeiten ohne Rücksicht auf Einkommen undVermögen erbracht werden, soweit dies im Einzelfall erfor<strong>der</strong>lichist. Dieser Gedanke (Kostenfreiheit) müsste inden genannten Leistungsgesetzen (SGB II, SGB XII,AsylbLG) an geeigneter Stelle übernommen werden,etwa in § 19 SGB XII, den §§ 11 ff. SGB II o<strong>der</strong> § 7AsylbLG. Dieser Vorschlag sollte insbeson<strong>der</strong>e mit Blickauf die psychosoziale Betreuung <strong>der</strong> Frauen in Frauenhäuserngeprüft werden.Allerdings ist zu bedenken, dass es (wie die Zahlen <strong>der</strong>empirischen Untersuchung zeigen) 154 durchaus Frauengibt, die z. B. als sog. Selbstzahlerinnen einen finanziellenEigenbeitrag leisten. So drängend das Problem <strong>der</strong>Armut von Frauen in Frauenhäusern ist, 155 so wenig darfgenerell Armut unterstellt werden, zumal die gewaltbetroffenenFrauen aus allen Gesellschaftsschichten stammen.156 Wer grundsätzlich über Einkommen und Vermögenverfügt, aber aufgrund <strong>der</strong> Flucht einstweilen keinenZugriff darauf hat, könnte also durchaus einen finanziellenBeitrag nach Maßgabe des verfügbaren Einkommensund Vermögens leisten.152 Beachte insofern auch § 9 Abs. 4 SGB II: „Hilfebedürftig ist auch<strong>der</strong>jenige, dem <strong>der</strong> sofortige Verbrauch o<strong>der</strong> die sofortige Verwertungvon zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist o<strong>der</strong> fürden dies eine beson<strong>der</strong>e Härte bedeuten würde.“153 Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Diskussionspapierdes Deutschen Vereins zur Finanzierung von Frauenhäusernvom 15.7.2010 (DV 10/10 – AF III), S. 14, http://www.deutscherverein.de/05-empfehlungen/empfehlungen_archiv/2010/pdf/DV%2010-10.pdf (abgerufen am 30.1.<strong>2012</strong>).154 Sozialwissenschaftliches Gutachten, B 3.1.4.155 Sellach, Monitoring zu den Wirkungen von SGB II auf Frauenhausbewohnerinnenund Frauenhäuser, in: Klute/Kotlenga (Hrsg.), Sozial-und Arbeitsmarktpolitik nach Hartz. Fünf Jahre Hartzreformen:Bestandsaufnahme – Analysen – Perspektiven, 2008, S. 74 (86 f.).156 BMFSFJ (Hrsg.), Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen. Eine sekundäranalytischeAuswertung zur Differenzierung von Schweregraden,Mustern, Risikofaktoren und Unterstützung nach erlebter Gewalt.Ein Forschungsprojekt des Interdisziplinären Zentrums fürFrauen- und Geschlechterforschung (IFF) <strong>der</strong> Universität Bielefeld;durchgeführt von Dr. Monika Schröttle (Projektleitung) unter Mitarbeitvon Dipl.-Soz.wiss. Nicole Ansorge, Interdisziplinäres Zentrumfür Frauen- und Geschlechterforschung (IFF) <strong>der</strong> Universität Bielefeld,in Kooperation mit dem Statistischen Beratungszentrum <strong>der</strong>Universität Bielefeld, Enddokumentation November 2008, S. 121,http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/gewalt-paarbeziehung-langfassung,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (abgerufen am 30.1.<strong>2012</strong>).

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