Die Zöglinge Calvins in Halle an der Saale von ... - Licht und Recht

63 Die neuen Propheten und ihr Verteidiger.
gekommen wäre. Der Pietismus mit seiner nachdrücklichen Betonung der Privaterbauung, die Universität
mit den Angriffen einiger ihrer Lehrer gegen die kirchlichen Ordnungen und Verfassungen
und die Zuchtlosigkeit der Studenten in den Kirchen, welche mit Hunden kamen, lachten und plauderten,
hin- und herliefen, alles dieses erregte mit Recht die Gewissen und konnte bei dem Mangel
klarer Erkenntnis leicht zu den gefährlichen Klippen des Separatismus führen. Ernst Christoph
Hochmann, welcher mit „unbeschreiblichem“ aber eigenem Feuer predigend Deutschland durchzog,
hatte auch in Halle Anhänger gesammelt. Die Separierten verweigerten die Taufen ihrer Kinder,
teilten unter sich das Abendmahl aus, überhäuften mit bitteren Lästerungen die Prediger, die sie
mit selbstgefälligen Bedenken stillverächtlich ansahen, und nahmen alle Irrgeister und Schwärmer
mit bereitwilliger Liebe auf. Das Eigene zieht und lockt den Menschen mit magnetischer Kraft und
wenn man in sein Privatkirchlein tritt, mutet es einen heimlicher an, als wenn man den geordneten
Prediger hört.
Die Klagen der Halleschen Prediger über diese Unordnungen kamen vor den König und veranlaßten
scharfe Edikte. Die Abgefallenen sollten unter Androhung von Geldstrafen und Austreibung
aus der Stadt zur Rückkehr ermahnt werden. Auch die Universität bekam das dringende Gebot, dem
Studentenunfug zu wehren und keine Angriffe gegen die kirchlichen Institutionen zu unternehmen.
Die Geistlichen Halles verloren in den Separierten meist den besseren Kern ihrer Gemeindemitglieder.
Es waren Leute, die von der Wahrheit des Evangeliums berührt in ihrer vollen Erkenntnis aber
nicht geprüft waren. Auf falsche Gemütshöhen sich stellend, haschten sie nach besonderen Werken.
Einige unter ihnen waren schwache, beschränkte, gutmütige Naturen, andere von starker Phantasie
und ohne Urteil, oder hochfahrend, stolz und „nach außerordentlichen Dingen gaffend.“ Auf diesen
wohlvorbereiteten Boden warfen die vier Londoner Sendlinge ihren verderblichen Samen. Betrachten
wir ihre Herkunft.
Die Inspirierten.
Ein jedes Jahrhundert bietet sich wiederholende Erscheinungen von solchen Persönlichkeiten
und Vereinen dar, die unter der Vorgabe nach einer göttlichen Inspiration zu reden und zu handeln,
entweder einem ungöttlichen fremden Geiste oder dem eigenen dienen. Man wird sich vergeblich
bemühen, ihren ungewöhnlichen Zustand vernünftig zu erklären, sondern muß, wenn man auch in
ihrer Charakteranlage und Bildung, in einer gewissen geistigen Überreizung Anknüpfungspunkte
mit Recht nachweist, doch in ihren „Bewegungen,“ ihrem körperlichen und seelischen Befinden die
Wirkung satanischer Einflüsse eingestehen. In der Reformationszeit trägt die Münster’sche Rotte
diese Kennzeichen, in dem folgenden Jahrhundert die Propheten, welche den ehrlichen Comenius
gefangen nahmen, in dem achtzehnten sind es die Inspirierten. Bei den Gebetsversammlungen in
Amerika und Irland ist in neuerer Zeit zuweilen Ähnliches an den Tag getreten.
Der Cevennenkrieg hatte seine unheimlichen Flammen kaum erlöschen lassen, als sich drei
Flüchtlinge aus demselben Elie Marion aus Barre, Jean Cavalier aus Sauve und Durand Fage aus
Aubais 1706 nach London begaben, mit sich nehmend die Befähigung zu inspirierten Zuständen.
Sie führten sich mit der Erklärung in der Gemeinde der französischen Réfugiés in London ein, daß
sie Gesandte Gottes wären und auf Befehl seines Geistes gekommen. Viele ihrer Landsgenossen
waren ihnen entgegen gegangen, hatten Psalmen gesungen und Blumen auf ihren Weg gestreut. Ihre
Behauptungen waren begleitet von eigentümlichen Zufällen. Lunge und Herz wurden in heiße Vibration
gesetzt, dann begann ein keuchender Odem hastig im Halse zu arbeiten, der Kopf bewegte
sich nach allen Seiten, die Zunge zitterte und war wie von einer fremden Macht gebunden, der Leib
wurde hin- und hergerissen, über die Erde erhoben, oft 10 bis 11 Fuß hoch, die Treppe herunterge-