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Die Zöglinge Calvins in Halle an der Saale von ... - Licht und Recht

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<strong>Die</strong> letzten Pastoren. 98<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge Fr<strong>an</strong>kreichs bis zu ihren K<strong>in</strong>desk<strong>in</strong><strong>der</strong>n den Schatz, um dessentwillen <strong>und</strong> mit dem alle<strong>in</strong><br />

als ihrer e<strong>in</strong>zigen Habe sie ausw<strong>an</strong><strong>der</strong>ten.<br />

M<strong>an</strong> verwechselt sehr häufig die fr<strong>an</strong>zösischen Kolonisten mit den leichtfertigen glaubenslosen<br />

Fr<strong>an</strong>zosen, welche <strong>an</strong> dem Hofe des großen Friedrich lebten o<strong>der</strong> mit denen, welche die Revolutionszeit<br />

aus Fr<strong>an</strong>kreich auss<strong>an</strong>dte. Nichts ist falscher. Mit <strong>Recht</strong> sagt Weiß, daß die Berl<strong>in</strong>er Calv<strong>in</strong>isten<br />

sich mit Wi<strong>der</strong>willen <strong>von</strong> jenen unähnlichen L<strong>an</strong>dsleuten abgew<strong>an</strong>dt hätten, ihre Art wäre e<strong>in</strong>e<br />

<strong>an</strong><strong>der</strong>e, e<strong>in</strong>e strengere gewesen. Bis <strong>in</strong> ihre letzten Tage hielten die halleschen Fr<strong>an</strong>zosen dafür, daß<br />

sie etwas Besseres als die sie umgebenden Deutschen wären: sie waren kirchlicher, um den flachen<br />

Ausdruck zu gebrauchen, religiöser <strong>und</strong> pflegten die brü<strong>der</strong>liche Geme<strong>in</strong>schaft.<br />

Am 20. Oktober 1785 feierten sämtliche fr<strong>an</strong>zösische Kolonien <strong>in</strong> den königlich preußischen<br />

L<strong>an</strong>den ihren hun<strong>der</strong>tjährigen Stiftungstag. In <strong>Halle</strong> verlegte m<strong>an</strong> ihn auf den folgenden Sonntag.<br />

<strong>Die</strong> mit rotem Tuche ausgeschlagene Kirche war mit den Bildnissen des großen Kurfürsten <strong>und</strong> des<br />

regierenden Königs geschmückt. Der Gottesdienst beg<strong>an</strong>n früh um dreiviertel auf neun Uhr. Der<br />

K<strong>an</strong>tor <strong>und</strong> Lektor Mr. Laborde verlas die Geschichte <strong>der</strong> E<strong>in</strong>weihung des Salomonischen Tempels<br />

<strong>und</strong> kündigte den 81. Psalm <strong>an</strong>, <strong>der</strong> mit Trompeten <strong>und</strong> Pauken gesungen wurde. Darauf bestieg Garagnon<br />

die K<strong>an</strong>zel <strong>und</strong> kündigte nach dem Bußgebet den 122. Psalm <strong>an</strong>. Dem Psalmges<strong>an</strong>g g<strong>in</strong>g<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>s Fr<strong>an</strong>zösische übersetzte Graunische K<strong>an</strong>tate vor<strong>an</strong>. <strong>Die</strong> nun folgende Jubelpredigt war über<br />

Psalm 137,5.6. Nach dem Jubelgebet wurde <strong>der</strong> Ambrosi<strong>an</strong>ische Lobges<strong>an</strong>g mit Trompeten <strong>und</strong><br />

Pauken unter Läutung aller Stadtglocken <strong>und</strong> Abfeuerung e<strong>in</strong>iger K<strong>an</strong>onen gesungen. Nachmittags<br />

verlas m<strong>an</strong> zum Beg<strong>in</strong>n des Gottesdienstes die Befreiung <strong>der</strong> Israeliten aus Ägypten, nach dem Ges<strong>an</strong>g<br />

<strong>von</strong> Psalm 67 predigte d<strong>an</strong>n O’Bern über Samuel 7,12. Der Ges<strong>an</strong>g <strong>von</strong> Psalm 150 mit Musikbegleitung<br />

endigte die Feier. <strong>Die</strong>se geräuschvolle Feier ist <strong>in</strong>dessen nicht calv<strong>in</strong>isch, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e<br />

Anbequemung <strong>an</strong> e<strong>in</strong>e lei<strong>der</strong> auch jetzt noch <strong>in</strong> die Kirche h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>getragene Schauspielerei. Aus <strong>der</strong><br />

gedruckten Predigt <strong>von</strong> O’Bern geben wir e<strong>in</strong>ige Auszüge. Nach e<strong>in</strong>er geschichtlichen Darstellung<br />

<strong>der</strong> Leidensnot <strong>der</strong> Reformierten <strong>in</strong> Fr<strong>an</strong>kreich, die doch <strong>in</strong> ihrer strengen Sittendiszipl<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> ihrer<br />

Königstreue e<strong>in</strong> Vorbild Fr<strong>an</strong>kreichs waren, so daß selbst Richelieu sagte, die Krone des Königs<br />

w<strong>an</strong>kte auf se<strong>in</strong>em Haupte, doch sie befestigten sie wie<strong>der</strong>, w<strong>an</strong>dte sich <strong>der</strong> Redende zu dem gesegneten<br />

Andenken des großen Kurfürsten, welcher die Tränen <strong>der</strong> Entflohenen durch se<strong>in</strong>e Wohltaten<br />

trocknete. Er fährt d<strong>an</strong>n fort:<br />

„Unsere Vorfahren verließen Fr<strong>an</strong>kreich wie Jakob se<strong>in</strong>e Heimat mit e<strong>in</strong>em Stabe. Von allem entblößt,<br />

unbek<strong>an</strong>nt mit <strong>der</strong> Sprache <strong>und</strong> den Sitten des L<strong>an</strong>des welches sie aufnahm, wie stark mußte<br />

ihr Glaube se<strong>in</strong>, um nicht im Anblick solcher Schwierigkeiten den Mut zu verlieren, doch Gott<br />

wachte über ihnen. Unermüdet tätig, fleißig <strong>und</strong> sorgsam, getragen <strong>von</strong> <strong>der</strong> unerschöpflichen Liebe<br />

des Kurfürsten, arbeiteten sie Tag <strong>und</strong> Nacht, durchdrungen <strong>von</strong> lebendiger Freude <strong>und</strong> Befriedigung<br />

Gott nach ihrem Gewissen dienen zu können, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Herr segnete ihrer Hände Werk. Sie eröffneten<br />

neue Industriequellen, vervollkommneten schon vorh<strong>an</strong>dene Gewerbe, errichteten Fabriken,<br />

welche jetzt Tausenden Brot geben. Der H<strong>an</strong>del hob sich plötzlich, die <strong>Recht</strong>schaffenheit unserer<br />

Vorfahren verschaffte ihnen selbst <strong>in</strong> katholischen L<strong>an</strong>den Kredit, überall errichteten sie H<strong>an</strong>dlungshäuser<br />

<strong>und</strong> knüpften Geschäftsverb<strong>in</strong>dungen <strong>an</strong> <strong>und</strong> viele <strong>von</strong> ihnen wurden sehr reich. Derselbe<br />

Geist <strong>der</strong> Weisheit <strong>und</strong> Liebe, <strong>der</strong> sie <strong>in</strong> Fr<strong>an</strong>kreich zu freigiebigen Almosen <strong>an</strong>trieb, machte<br />

sich auch bald <strong>in</strong> den neu entstehenden Kirchen bemerkbar <strong>und</strong> nie waren ihre Armen gezwungen<br />

das Brot <strong>an</strong> den Türen zu suchen. Zu je<strong>der</strong> Zeit wurden wirkliche Arme, schwache Greise, alte Witwen,<br />

verwahrloste K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus den freiwilligen Beiträgen <strong>der</strong> Kolonisten unterhalten. Das Öltröpfchen,<br />

was sie aus Fr<strong>an</strong>kreich mitnahmen, vertrocknete nicht <strong>in</strong> ihrem Kruge.“ O’Bern fährt d<strong>an</strong>n<br />

fort die große Bedeutung <strong>der</strong> Fr<strong>an</strong>zosen <strong>in</strong> den verschiedensten Verhältnissen nachzuweisen, wie sie

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