Der Zwölfte Schritt

im Erfinden neuer Ausreden. Wir mußten trinken, weil die Zeiten
schlecht waren oder weil es uns so gut ging. Wir mußten trinken,
weit wir daheim mit Liebe überschüttet wurden oder weil wir keine
Zuneigung fanden. Wir mußten trinken, weil wir im Beruf sehr
erfolgreich waren oder weil wir versagten. Wir mußten trinken, weil
unsere Nation einen Krieg gewonnen oder einen Frieden verloren
hatte.
Und so ging es weiter bis ins Unendliche.
Wir glaubten, daß uns die „Umstände" zum Trinken brachten, und
als wir versuchten, diese Umstände zu ändern, und es uns nicht
nach unserer Vorstellung gelang, verloren wir die Kontrolle über das
Trinken und wurden Alkoholiker. Wir kamen nie auf den Gedanken,
daß wir uns selbst ändern mußten, um mit den Umständen fertig zu
werden, so wie sie waren.
Bei AA lernten wir langsam, daß gegen unsere Rachsucht, unser
Selbstmitleid und unsere grundlose Einbildung etwas getan werden
mußte. Wir mußten einsehen, daß immer, wenn wir uns aufspielten,
sich die Menschen gegen uns stellten. Wir mußten erkennen, daß
wir uns selbst mit dem Knüppel unserer eigenen Wut schlugen, mit
dem wir die anderen treffen wollten, wenn wir über solche
Niederlagen wütend waren und auf Rache sannen. Dabei lernten
wir, daß wir uns bei starker Aufregung zuerst selbst zur Ruhe
bringen mußten, ganz gleich wer oder was der Grund für die
Aufregung war. Es dauerte oft sehr lange, bis wir einsahen, daß wir
Opfer unserer eigenen verworrenen Gefühle waren. Bei anderen
konnten wir sie schnell entdecken, doch bei uns nur sehr schwer.
Zunächst mußten wir zugeben, daß wir eine Menge Charakterfehler
hatten, obwohl diese Erkenntnis schmerzlich und demütigend war.
Soweit es sich um andere Menschen handelte, mußten wir das Wort
„Vorwurf" aus unserem Reden und Denken streichen. Um hiermit
anzufangen, war große Bereitschaft notwendig. Hatten wir die
ersten zwei oder drei Hürden genommen, erschien uns der weitere
Weg schon leichter. Wir sahen uns in der richtigen Perspektive, mit
anderen Worten: Wir wurden demütiger.
Natürlich sind der Depressive und der Überhebliche extreme
Persönlichkeiten, die wir bei AA wie überall in der Welt finden. Oft
zeigen sich ihre Persönlichkeitsmerkmale genauso ausgeprägt wie
in den beschriebenen Beispielen. Doch ebenso häufig haben einige