Syntax des gesprochenen Deutsch - mediensprache.net
Syntax des gesprochenen Deutsch - mediensprache.net
Syntax des gesprochenen Deutsch - mediensprache.net
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
190 Alexander Polikarpow<br />
Native speakers, die diese Strukturen beurteilen sollten, fanden sie<br />
,schrecklich', ,schlecht'. Sie betonten dabeL daß beide Konjunktionen einzeln<br />
in diesen parataktischen Konstruktionen benutzt werden könnten, aber nicht<br />
zusammen. Manche sahen darin Anakoluthe, und ihnen würde ich recht<br />
geben. Der Sprecher sucht beim Reden nach einem adäquaten sprachlichen<br />
Ausdruck, nach einem adäquaten Verknüpfungsmittel, und weil er sich<br />
letzten En<strong>des</strong> für eine Gegenüberstellung entschließt bzw. sie betonen wilt<br />
,korrigiert' er und durch aber. Die oben angeführten Strukturen sind ein<br />
Beweis dafür, daß syntaktische Formen in der spontanen <strong>gesprochenen</strong><br />
Sprache sukzessiv, schrittweise konstituiert werden und daß und und aber im<br />
adversativen Gebrauch konkurrieren können. Der Beleg (23) enthält neben<br />
dem Anakoluth eine Aposiopese. In der spontanen mündlichen Rede können<br />
sehr oft abgebrochene, nicht abgeschlossene und- und aber-Strukturen beobachtet<br />
werden. Dieses Phänomen verdient eine spezielle Untersuchung.<br />
In den folgenden und-Konstruktionen ist eine konzessive Beziehung<br />
zwischen den entsprechenden Sachverhalten zu erschließen:<br />
(24) zum beispiel, als ich mich zum ersten mal geschminkt habe, mit 15, da ham<br />
sie auch geschimpft: "was werden die leute sagen", und "so jung, und ihr<br />
malt euch schon so an!" (Bottroper Protokolle 1968)<br />
(25) habe mir gesagt: was ich weiß, weiß ich, was nicht, eben nicht, also ganz<br />
lokker, und gute zensuren hatte ich trotzdem. (Müller 1985: 90)<br />
(26) wie ein gefängnis ist das, vielleicht noch schlimmer, weil man weiß, daß man<br />
hinausgehen kann, keiner hält einen zurück, man geht doch nicht<br />
hinaus. (v.d.Grün 1973: 85)<br />
(27) 1 dieser akkord ist so niedrig gesetzt daß man das gut schaffen könnte 11 ich<br />
könnte auch sogar noch ne halbe stunde ,auf toilette' gehn.YIld (da) ich<br />
würd den akkord immer noch schaffen. (Wackemagel-Jolles 1971: 51)<br />
(28) das licht ist aus und ihr tut nichts!<br />
G. Starke, der die konzessive Beziehung in der deutschen Sprache untersucht,<br />
zählt unter Konjunktionen und Konjunktionaladverbien, die konzessive<br />
Beziehung zwischen Sachverhaltsaussagen zum Ausdruck bringen, auch und<br />
auf. Er betont dabei, daß und sowie andere Konjunktionen die konzessive<br />
Beziehung nicht herstellen, sondern sie lediglich anzeigen, signalisieren: "Das<br />
konzessive Verhältnis existiert bereits zwischen den propositionalen Gehalten<br />
der jeweils miteinander kombinierten Sätze. Das erweist sich an Aussageverbindung<br />
ohne Signalwörter und daran, daß die Mehrzahl der Signalwörter<br />
polysem ist" (Starke 1982: 133). Der Behauptung von G. Starke kann man nur<br />
teilweise zustimmen. Man kann nicht und und z. B. trotzdem gleich<br />
behandeln. Trotzdem signalisiert und trägt im gewissen Sinne zur Herstellung<br />
der konzessiven Beziehung bei, während und diese Relation überhaupt nicht<br />
indiziert. Die Annahme, daß bereits zwischen den propositionalen Gehalten<br />
der kombinierten Konjunkte das konzessive Verhältnis besteht, scheint<br />
dagegen der Wirklichkeit zu entsprechen. Für eine konzessive Interpretation<br />
der und-Konstruktionen <strong>des</strong> Typs ,Das Haus brennt, und du sitzt vor dem