Syntax des gesprochenen Deutsch - mediensprache.net
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Direkte und indirekte Rede in Alltagsgesprächen 237<br />
(viii) Anleihen fremder Rede<br />
Ein weiterer Fall der Verwendung direkter Rede stellt die Einbettung kurzer<br />
Passagen fremder Rede in die eigene Äußerung dar. Solche Anleihen weisen<br />
eine Variationsbreite auf, die von kurzen Einsprengeln bis zu uneingeleiteten<br />
Redewiedergabepassagen reicht. Das folgende Segment entstammt einem<br />
Gespräch zwischen Laura und Hans über Leute, die "in der Gosse gelandet<br />
sind". Hans referiert auf einen stadtbekannten "Penner" und beschreibt ilm<br />
zum Zwecke der Identifikation mittels eines Zitats:<br />
In der Gosse<br />
13 Hans: weisch d- dieser (.) [dieser] DUNKEL[haarige]<br />
14 Laura: [( ... )] [ältere?]<br />
15 Hans: neo so:? (um=die=Dreißig ......... ) oder=so.<br />
16 Laura: hh' da gibts glaub=ich [ZWEL]<br />
17 Hans: [dieser] HASTE=MAL=NE=MARK Mensch<br />
18 [hihi.]<br />
19 Laura: [hihi]hi ja=ja.<br />
Das Einflechten <strong>des</strong> Zitats "HASTE=MAL=NE=MARl(" beschreibt und<br />
charakterisiert die betreffende Person mittels einer ihrer prototypischen<br />
Äußerungen gegenüber Passanten.<br />
Diese Art der Zitat-Anleihen kommen dem in der Literaturtheorie als<br />
"Ansteckung der Erzählersprache durch die Figurensprache" (Stanzel 1989:<br />
248) beschriebenem Phänomen fremder Rede sehr nahe; die Erzähierin bedient<br />
sich bestimmter Floskeln oder Sprechweisen, die für die Rede bestimmter<br />
Charaktere kennzeiclmend sind und läßt sie in die eigene Äußerung<br />
einfließen.<br />
Diese Datenbeispiele geben einen exemplarischen Einblick in die Vielfalt<br />
der Verwendungsmöglichkeiten direkter Rede und verdeutlichen, daß die<br />
Funktionszuschreibung der direkten Rede als wortgetreue Wiedergabe <strong>des</strong><br />
Originals eine Idealisierung darstellt. 25 Statt <strong>des</strong>sen scheint es plausibler, direkte<br />
Rede als rhetorisches Diskursverfahren zur konkreten Illustration und<br />
szenischen Vorführung kommunikativer Ereignisse zu betrachten. 26 Auch<br />
wenn direkte Rede zur Vorgabe eines ,originaltreuen Zitierens' in Alltagsinteraktionen<br />
verwendet wird, so kann daraus keineswegs geschlossen werden,<br />
daß direkte Rede tatsächlich die Originaläußerung reproduzieren würde. Bei<br />
diesen szenischen Darstellungen vergangener, prospektiver, hypothetischer,<br />
kontrafaktischer und fiktiver Texte können die Rezipient/innen bestimmte selektierte,<br />
markierte Aspekte der Rede relativ unmittelbar nach,erleben'.<br />
Welche Elemente die Sprecher/innen beim Zitieren konkretisieren, selektiv<br />
hervorheben oder stilisieren (beispielsweise den vorwurfsvollen Ton, den<br />
derben Dialekt, die manierierte standarddeutsche Aussprache, den Gebrauch<br />
von Vulgärausdrücken etc.) hängt von der jeweiligen Bedeutung ab, die mit<br />
der Redewiedergabe kommuniziert werden sol1.27