Syntax des gesprochenen Deutsch - mediensprache.net
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228 Susanne Günthner<br />
sprechers zu äußern, könne sie durchaus ihre eigene Perspektive in die zitierte<br />
Äußerung einfließen lassen. Als weiteres distinktives Merkmal zwischen den<br />
beiden Redewiedergabemustern c(direkte und indirekte Rede) wird meist die<br />
Möglichkeit zum Ausdruck expressiver Momente genannt: Während die<br />
direkte Rede emotiv-expressive Elemente der ,Original/äußerung reproduzieren<br />
könne, sei diese in der indirekten Rede nur über explizite Thematisierungen<br />
(z.B. in der einleitenden Phrase, im verbum dicendi) möglich.<br />
Bezeichnend für den Großteil der Arbeiten zur Redewiedergabe, die diese<br />
Positionen und die damit verbundene Dichtomie der Wiedergabemuster<br />
vertreten, ist, daß deren Untersuchungen entweder auf konstruierten Beispielsätzen<br />
oder aber literarischen Texten basieren und folglich die in natürlichen<br />
Alltagsgesprächen vorkommenden Formen der Redewiedergabe und insbesondere<br />
die Rolle der Prosodie ignorieren. 5 Ferner macht die vorliegende<br />
Analyse deutlich, daß zahlreiche vom Englischen ausgehende, jedoch allgemeine<br />
Gültigkeit beanspruchende Behauptungen zu den syntaktischen Konstruktionen<br />
direkter und indirekter Rede auf das gesprochene <strong>Deutsch</strong> nicht<br />
zutreffen. 6 Auf der Grundlage von Redewiedergaben in informellen Kommunikationssituationen<br />
(insgesamt 36 Stunden auf Tonband aufgenommene<br />
Tisch- und Telefongespräche im Freun<strong>des</strong>- und Familienkreis)7 werde ich verdeutlichen,<br />
daß (i) direkte Rede nicht als Mimesis der tatsächlichen Originaläußerung<br />
betrachtet werden kann und man bei direkter Redewiedergabe<br />
keineswegs automatisch auf "faithfully rendering form and content of what<br />
the original speaker said" (Coulmas 1985: 42) und damit eine wortgetreue<br />
Wiedergabe schließen kann; (ü) auch in der direkten Redewiedergabe die<br />
Zitierenden ihre Perspektive zum Ausdruck bringen, wobei der Prosodie eine<br />
tragende Rolle zukommt; (iii) in die indirekte Redewiedergabe auch emotivexpressive<br />
Elemente aus der Figurenwelt einfließen können; (iv) in der<br />
Alltagskommunikation zahlreiche Hybridformen auftreten, und die syntaktischen<br />
Konstruktionen direkter bzw. indirekter Rede weniger als Dichotomie<br />
denn als Kontinuum zu betrachten sind; (v) die Verwendungsweisen und der<br />
Wechsel von direkter und indirekter Redewiedergabe in Alltagsgesprächen<br />
kontextspezifische Funktionen innehaben können.<br />
2 DIREKTE REDE IM DISKURS<br />
2.1 Direkte Rede als rhetorisches Verfahren zur lebendigen Illustration<br />
In der sprachwissenschaftlichen Literatur besteht eine andauernde Tradition,<br />
direkte Rede als wortwörtliche Wiedergabe der Originaläußerung und Garant<br />
für llfidelity not only to the content but also to the surface form of the reported<br />
utterance" (Coulmas 1986: 11) zu behandeln.8 So beschreibt Li (1986:40) direkte<br />
Rede als "reproducing or mimicking the speech of the reported speaker";<br />
Leech (1974: 353) betont, "the reporter commits himself to repeating the actual<br />
words spoken", und Banfield (1973: 9) führt aus, direkte Rede "must be<br />
considered as a word for word reproduction". Solche Annahmen einer wort-