Syntax des gesprochenen Deutsch - mediensprache.net
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94 Christine Busler & Peter Schlobinski<br />
In der Stilistik ist die Ellipse als rhetorische Figur der Kürzung bekannt. Thr<br />
Einsatz wirke einer detaillierten Umschreibung der Sachverhalte, die im<br />
Rahmen der Rede angesprochen werden sollen, zwar formal entgegen, dafür<br />
eröffne sie aber die Möglichkeit, u[ ... ] dem sprachlichen Ausdruck die<br />
Wirkung <strong>des</strong> Suggestiven zu erschließen" (Plett 1989: 57). Während der Ellipse<br />
im Sinne einer "unfunktionale[n] Stilkategorie" nur "nachlässige, vertrauliche<br />
[und] lebhafte Diktion" (ibid., S. 57) im Medium der <strong>gesprochenen</strong> Rede zugesprochen<br />
wird, übernimmt sie als schriftsprachliche, rhetorische Figur die<br />
Aufgabe, die emotiven Merkmale gesprochener Sprache auf das Geschriebene<br />
zu übertragen (Weiteres hierzu vgl. Busler 1996).<br />
SCHRIFTSPRACHE<br />
künstliche Rede<br />
ars recte dicendi<br />
Evidenz<br />
Detailliertheit<br />
Angemessenheit, Klarheit<br />
Effizienz<br />
Reflexion<br />
monologisch<br />
GESPROCHENE SPRACHE<br />
natürliche Rede<br />
Transzendenz der ars recte dicendi<br />
sprachliche Ökonomie<br />
Reduziertheit<br />
Vagheit, Ambiguitäten<br />
Effektivität<br />
Spontanität<br />
dialogisch<br />
Abb. 1: Klassische Dichotomie zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache<br />
Ellipsen als über Reduktionsprozesse abgeleitete Satzkonstruktionen stehen<br />
im Zentrum jener vorherrschenden Forschung, nach der Ellipsen als nichtautonome<br />
Konstruktionen angesehen werden. Demgegenüber erkennen die<br />
Autonomisten Ellipsen als in natürlichen Kontexten gewachsene Strukturen<br />
an (vgl. Ortner, 1987: 136). Sie bestreiten nicht, daß eine "Verwandtschaft mit<br />
Vollsätzen lJ<br />
besteht, fordern aber ,Ellipsen' nicht als. durch Transformationen,<br />
Reduktionen oder Ableitungen ,vollständigee syntaktischer Einheiten entstandene<br />
Phänomene zu deklarieren. Ellipsen sind nach Auffassung der<br />
Autonomisten Strukturen sui generis und können als autonome Versprachlichungsmuster<br />
begriffen werden, was u.a. aus der Beobachtung geschlossen<br />
wird, daß es feststehende Ellipsen wie Ein Bier bitte! gibt, die zu fest etablierten<br />
Mustern sprachlicher Situationsbewältigung gehören (ibid. S. 153 H.). Bereits<br />
Bühler (1934: 155ff.) hatte auf der Folie der Kontexteinbettung im Hinblick auf<br />
die uzweimal tausendjährige[n] Ellipsenplage" eine "Radikalkur" (vgl. ibid. S.<br />
168) empfohlen:<br />
Ein unbekehrbarer Anhänger der generellen Ellipsenidee wird darauf hinweisen,<br />
daß man doch in allen Fällen einen Satz um die empraktische Nennung<br />
herumkonstruieren kann. Die Antwort lautet, das sei zwar unbestreitbar,<br />
beweise aber nichts. Denn ein sprachlich geschickter Interpret kann auch zu<br />
jeder Phase eines völlig stummen Verkehrsaktes einen mehr oder minder<br />
treffenden Text liefern; der aufgehobene rechte Arm mit dem Geld <strong>des</strong><br />
Passanten im Straßenbahnwagen "sagt" zum Schaffner: ,bitte, geben Sie mir<br />
einen Fahrschein!' (Bühler 1934: 157)