Syntax des gesprochenen Deutsch - mediensprache.net
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214 Frank Jürgens<br />
Strukturen Gedanken macht, ist <strong>Syntax</strong> doch formaler Ausdruck <strong>des</strong>sen, was<br />
Inhalt ist - können Ellipsen gar nicht existieren, vom logizistischen Standpunkt<br />
aus ist mit Ein Bier! + prosodische und kinesische Begleitartikulation (=<br />
parasprachliches Umfeld) alles gesagt und es bedarf keiner weiteren<br />
Erklärung. (Werner 1994: 120)<br />
Werner ist unbedingt zuzustimmen, wenn er sagt, daß in solchen<br />
Äußerungen "nicht eigentlich syntaktisch Notwendiges weggelassen wird,<br />
sondern daß das, was nicht steht, eben auch nicht unbedingt zum Verständnis<br />
notwendig ist. Die Situation fungiert als Bindeglied. Der Rezipient<br />
versteht nicht erst nach der Vervollständigung, sondern sofort, die Situation<br />
ist Träger der rhematischen Information, die der Rezipient zum Verständnis<br />
braucht und die intuitiv perrnanent in ihn eingeht Jl<br />
(ibid., S. 137).<br />
Es ist also davon auszugehen, daß solche Äußerungen ganz reguläre,<br />
abgeschlossene und vollwertige syntaktische Formen sind, die alternierend<br />
zum vollständigen Satz abgerufen werden können, die unter bestimmten<br />
Bedingungen sogar angemessener sein können als der Satz.<br />
Kommen wir zurück auf unseren Ausgangspunkt, die Suche nach<br />
Kategorien für die syntaktischen Formen, die nicht den Definitionsmerkmalen<br />
<strong>des</strong> Satzes entsprechen. Diese Aufgabe wird durch ein Verwerfen<br />
<strong>des</strong> Ellipsenbegriffs nicht gerade erleichtert. Allerdings sind in der<br />
Vergangenheit durchaus bereits einige, z. T. sehr produktive Ansätze<br />
entwickelt worden. PUch will z. B. das traditionelle Verständnis von <strong>Syntax</strong><br />
als der ,Lehre vom Satz' ersetzen "durch eine <strong>Syntax</strong>, die die Menge der<br />
Syntagmen (einer gegebenen Sprache) angibt Jl<br />
(PUch 1990: 9). Damit ist aber<br />
lediglich ein relativ geringfügiger Fortschritt erzielt, der darin besteht, daß<br />
der Syntagmenbegriff alle syntaktischen Formen übergreifend erfaßt.<br />
Schreiber (1995) schlägt vor, zwischen System-Sätzen und Text-Sätzen zu<br />
unterscheiden: "Es ist möglich, auf der Grundlage bestimmter Segmentierungsregeln<br />
gesprochene Texte in satzwertige Einheiten zu gliedern, aber<br />
nicht alle diese Einheiten lassen sich auf Systemebene mit Hilfe der<br />
Satzgrammatik beschreiben" (Schreiber 1995: 90f.). Solche Strukturen (die<br />
sogenannten Text-Sätze) können nur mit einem satzübergreifenden, einem<br />
textgrammatischen Ansatz adäquat beschrieben werden. Diesen Ansatz halte<br />
ich für theoretisch überzeugend, allerdings für terminologisch unglücklich,<br />
da mit der Beibehaltung <strong>des</strong> Begriffs ,Satz' nicht das Spezifische der<br />
jeweiligen Konstruktion herausgestellt werden kann. Fries (1992: 18) spricht<br />
von "Rohstrukturen" , da sie über wesentliche syntaktische Merkmale nicht<br />
verfügen. Das impliziert meines Erachtens aber wie der Ellipsenbegriff -<br />
die Vorstellung von unfertigen, unvollkommenen Strukturen, in denen<br />
jeweils etwas fehlt. Werner (1994) verwendet den Begriff der ,kompakten<br />
Struktur'. Dieser hat gegenüber allen anderen mir bekannten Termini den<br />
Vorzug, daß er ein der Beobachtung direkt zugängliches Spezifikum der in<br />
Rede stehenden Konstruktionen aufgreift, nämlich kompakter zu sein als der<br />
Satz. "Kompakte Strukturen sind nicht als Auslassungen von syntaktisch<br />
notwendigen Satzgliedern oder -teilen zu verstehen, sondern als selbständige