Dr. Martin Luthers Fünfundzwanzig Psalmen - Licht und Recht
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128 Psalm 24.<br />
Sind aber dies nicht w<strong>und</strong>erliche Dinge? Höre aber noch w<strong>und</strong>erlichere. Wer ist denn nun der, so<br />
rein <strong>und</strong> unschuldig ist? Antwort: Niemand, ohne allein der einige Herr Jesus Christus; die andern<br />
sind alle unrein, <strong>und</strong> gar keineswegs zu reinigen aus ihrem Vermögen <strong>und</strong> Kräften, sondern allein<br />
aus der Gnade, so ihnen durch Christum eingegossen 254 wird; denn je keiner ist, der sich rühmen<br />
dürfte, er wäre rein <strong>und</strong> unschuldig an Händen <strong>und</strong> Herzen, auch nicht die Apostel <strong>und</strong> Propheten<br />
selber. Darum ist ein Christ allein der, so reine <strong>und</strong> unschuldige Hände <strong>und</strong> Herz hat, das ist, hebt an<br />
gereinigt zu werden, 255 ist aber noch in vielen Stücken unrein, daher Christus sagt, Joh. 15: Einen<br />
jeglichen Reben an mir, der da Früchte bringet, wird er reinigen, daß er mehr Früchte bringe. Denn<br />
er würde nicht Frucht bringen, wo er nicht rein wäre; <strong>und</strong> dennoch wird er gereinigt, so er doch rein<br />
ist von aller Unreinigkeit.<br />
Der nicht seine Seele vergeblich erhebet<br />
(= der nicht Lust hat zu loser Lehre).<br />
Das erste stehet im Hebräischen <strong>und</strong> heißt: der nicht Lust <strong>und</strong> Gefallen an ihm selber hat, noch<br />
sich vermisset aus Hoffart; sondern der vielmehr seine Seele demütiget <strong>und</strong> hasset, nach dem Wort<br />
Christi Matth. 16, Mark. 8, <strong>und</strong> ihm selber verächtlich wird in allem seinem Tun. Solche schändliche<br />
Unart aber der Hoffärtigen hat unser lateinischer Text nicht unbequemlich: die ihre Seele nicht<br />
vergeblich 256 annehmen, das ist, erwählen <strong>und</strong> die andern verachten, nehmen sich selbst an, sehen<br />
an <strong>und</strong> halten sich für gerecht, heilig <strong>und</strong> rein; darum denn außer ihnen nichts rein vor ihnen ist,<br />
sondern muß stinken <strong>und</strong> unflätig sein alles, was andere tun <strong>und</strong> sagen. Welches Laster sich bei denen<br />
gewißlich finden muß, so etwa der Eigenschaften, davon zuvor gesagt, eine an sich haben, ohne<br />
die Gnade Gottes; sonderlich aber die, so in der Heiligen Schrift vor andern gelehrt sind <strong>und</strong> einen<br />
guten Wandel führen. Und gleichwie auch derselben Hoffart sehr heimlich <strong>und</strong> gar unbekannt ist,<br />
also ist ihr auch gar schwerlich zu helfen; darum er denn fein sagt: vergeblich, ja, zum Vergeblichen.<br />
Denn dieweil dies, darin sie sich selber annehmen <strong>und</strong> sich gefallen, nicht Gott, sondern eine<br />
Kreatur ist, so muß es ihnen, ein vergeblich Ding sein. Denn wer sich rühmet, der rühme sich des<br />
Herrn, 1. Kor. 1, <strong>und</strong> Ps. 34: Meine Seele soll sich rühmen des Herrn, d. i. soll gescholten werden in<br />
mir selber, <strong>und</strong> an sich selbst zuschanden werden, <strong>und</strong> wenn sie also erniedrigt <strong>und</strong> gedemütigt ist,<br />
so nimmt sie Gott an.<br />
Ich halte es aber auch dafür, daß er dieses Stück zu diesem Vers darum gesetzt hat, daß dieselben<br />
frevelhaftigen <strong>und</strong> vermessenen Heuchler pflegen von sich selbst auszurufen, als seien sie rein an<br />
Händen <strong>und</strong> Herzen, ohn alle Scheu <strong>und</strong> Furcht. 257 Und sehe <strong>und</strong> höre ich zwar die allergelehrtesten<br />
<strong>und</strong> geübtesten Leute, die sich nicht scheuen zu rühmen, daß sie es mit ihrem Tun christlich <strong>und</strong> gut<br />
meinen, item, daß sie damit weder Ehre noch Geschrei suchen, weder Geld noch Gabe begehren,<br />
<strong>und</strong> in Summa sich nichts gelüsten lassen; welche, so sie sich selbst erkenneten, <strong>und</strong> Gottes Gnade<br />
fühleten, würden sie sich heftig schämen, daß sie das Widerspiel von sich gerühmet <strong>und</strong> sich selbst<br />
gelogen hätten.<br />
Darum kann man daran am allermeisten die Reinen erkennen vor den Unreinen. Denn die, so<br />
rein sind, demütigen ihre Seele, <strong>und</strong> erkennen <strong>und</strong> bekennen ihre Unreinigkeit, von Unschuld <strong>und</strong><br />
Reinigkeit aber wissen sie ganz <strong>und</strong> gar nichts. Dagegen wollen aber die Unreinen nichts wissen<br />
254 Ist mittelalterlich schlechte Ausdrucksweise – anfangs auch noch bei Luther hie <strong>und</strong> da vorkommend.<br />
255 Ein Paradoxon: hebt an, gereinigt zu werden, so er doch rein ist von aller Unreinigkeit (s. das Folgende). Die<br />
<strong>Recht</strong>fertigung durch den Glauben löst dieses Rätsel.<br />
256 Als etwas Eitles.<br />
257 Heute ebenso!