Dr. Martin Luthers Fünfundzwanzig Psalmen - Licht und Recht
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29 Psalm 6.<br />
Daß diese Worte von einem Sünder gesprochen werden, oder doch in der Sünder Person, durch<br />
Christum, 74 folgt daraus, daß er die Strafe nennt. Denn Gottes Strafe ist nicht um Gerechtigkeit willen;<br />
darum müssen alle Heiligen <strong>und</strong> Christen sich Sünder erkennen <strong>und</strong> Gottes Gericht fürchten;<br />
denn dieser Psalm allen gemein ist <strong>und</strong> niemand ausschließt. Darum wehe allen denen, die sich<br />
nicht fürchten, <strong>und</strong> ihre Sünde nicht fühlen <strong>und</strong> sicher einhergehen gegen das furchtbare Gericht<br />
Gottes, vor welchem doch kein gutes Werk genugsam sein kann.]<br />
Heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind erschrocken <strong>und</strong> meine Seele ist auch erschrocken.<br />
Ach du, Herr, wie lange?<br />
Ist eine Erzählung seiner ängstlichen Not. Das ganze Leben, Mark <strong>und</strong> Bein erzittert, alles, was<br />
im Menschen ist, kann solchen Angriff <strong>und</strong> Fühlen nicht leiden. Solches kann aber kein menschliches<br />
Herz begreifen, die Erfahrung allein lehrt es. Und dennoch ist’s gut, daß wir wissen, daß wir es<br />
nicht allein sind, wenn es also kommt. Und ist diese Anfechtung der Pfahl im Fleische, wie es Paulus<br />
nennt, 75 2. Kor. 12.<br />
Heile mich! damit streicht er weiter aus das, so er gesagt hat: Ich kann nimmer, oder bin<br />
schwach. Solches Fühlen schwächt auch die Gebeine, Stärke, Blut <strong>und</strong> Mark des Leibes. Danach<br />
trifft es die Seele noch heftiger <strong>und</strong> bringt solche Furcht, Schrecken <strong>und</strong> Zittern in sie, daß sie nichts<br />
gedenken, ja auch nicht beten noch wünschen kann; sondern meint allein, sie sei verloren mit den<br />
Gottlosen in Ewigkeit. Da dünkt uns denn ein Augenblick ein ganzes Jahr lang zu sein. Die betrübte<br />
<strong>und</strong> erschrockene Seele ist das Verzagen am Leben <strong>und</strong> Fühlen des Todes in dem, daß Gott zürnet.<br />
Die erschrockenen Gebeine sind das Durchdringen des Verzagens in den Leib, der es denn nicht zu<br />
ertragen vermag. Und kommt aber solches Schrecken alles her vom Satan, wenn der Mensch vom<br />
Wort, Geist <strong>und</strong> Gnade gelassen wird, <strong>und</strong> er da allein im Kampf <strong>und</strong> Not wider den Teufel stehen<br />
muß. 76<br />
[Alle meine Stärke <strong>und</strong> Kraft erliegt vor dem Grauen deiner Strafe; darum, dieweil meine Stärke<br />
mich verläßt, so gib mir deine Stärke. Und ist hier zu merken, daß dieser Psalm <strong>und</strong> seines gleichen<br />
nimmermehr wird gründlich verstanden oder gebetet, es gehe denn dem Menschen der Unfall unter<br />
Augen; als denn geschieht im Sterben <strong>und</strong> letzten Hinfahren. Und selig sind die, denen das im Leben<br />
widerfährt; denn es muß zu einem Untergang kommen mit einem jeglichen Menschen. 77 Wenn<br />
nun der Mensch also untergeht <strong>und</strong> zunichte wird in allen seinen Kräften, Werken, Wesen, daß<br />
nichts mehr als ein elender, verdammter, verlassener Sünder da ist, dann kommt die göttliche Hilfe<br />
<strong>und</strong> Stärke. Also Hiob 11: Wenn du meinst, daß du verschlungen seist, erst so wirst du hervorbrechen,<br />
wie der Morgenstern. Gottes Trost <strong>und</strong> Stärke wird niemand gegeben, er erbitte es denn mit<br />
ganzem Gr<strong>und</strong> des Herzens. Niemand bittet aber gründlich, der noch nicht gründlich erschrocken<br />
<strong>und</strong> verlassen ist. Denn er weiß nicht, was ihm gebricht <strong>und</strong> steht dieweil sicher in anderer Stärke<br />
<strong>und</strong> Trost sein selbst oder der Kreaturen. Darum, daß Gott möge seine Kraft <strong>und</strong> Trost ausgeben<br />
<strong>und</strong> uns mitteilen, so zieht er hin allen andern Trost <strong>und</strong> macht die Seele herzlich betrübt, schreiend<br />
74 Nach der Lesart vom Jahre 1517. Der Psalm ist also doch ein Gebet Christi, gerade wie in der ersten Erklärung der<br />
<strong>Psalmen</strong> vom Jahre 1513 <strong>und</strong> 1514 (gegen Köstlin, <strong>Luthers</strong> Theologie I, S. 66).<br />
75 Anfechtung solcher Art, wie im Psalm beschrieben – ist der Pfahl im Fleische, wie Paulus es nennet. Das durch<br />
Leiden von mancherlei Art erregte Nervensystem hilft mit, um solche Anfechtungen, schier unerträglich zu machen.<br />
Bei David, wie bei Paulus sind der Anzeichen genug, um solche Mitbeteiligung der Nerven zur Steigerung<br />
des Leidens festzustellen; z. B. 2. Kor. 2,12; 7,5. Ein rauschendes Blatt erschreckt einen solchen Leidenden.<br />
76 Wiederholt sich mehr, als man denkt – auch in den vielfachen, durch zerrüttete Nerven hervorgerufenen Zuständen<br />
des gegenwärtigen Zeitalters, die mehr als je zuvor, auch die im Kampf stehenden Christen plagen. Denn einst hatte<br />
man mehr Widerstandskraft.<br />
77 Von dem notwendigen Untergang, zu welchem es kommen muß mit einem jeglichen Menschen, dem geholfen werden<br />
soll.