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Dr. Martin Luthers Fünfundzwanzig Psalmen - Licht und Recht

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Psalm 6. 69<br />

Das ist nun ein sehr hoher Psalm, den wir armen Leute nicht verstehen <strong>und</strong> der allein für die<br />

großen Heiligen gehört. Der dritte Psalm ist von der Verfolgung gewesen; der vierte von Kreuz <strong>und</strong><br />

Trübsal; der fünfte von Rotten <strong>und</strong> Ketzereien. Also gehen wir durch <strong>und</strong> durch in den Anfechtungen.<br />

Dieser sechste Psalm aber ist von der geistlichen Anfechtung, welche die Mönche 70 den Geist<br />

der Gotteslästerung nennen, daß einer mit unserm Herrn Gott zürnet, daß er’s nicht recht macht; ist<br />

eine Anfechtung <strong>und</strong> Stoß wider den Glauben <strong>und</strong> Hoffnung, daß einer nur verzweifeln will.<br />

Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn, <strong>und</strong> züchtige mich nicht in deinem Grimm.<br />

Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach.<br />

Das sind eitel treffliche Worte, die er mit Gott redet. Er klagt über keinen Menschen, sondern<br />

über unsern Herrn Gott selbst. Es muß gestraft sein, spricht er; aber, lieber Herr Gott, daß es nur des<br />

Vaters Stäupen sei, <strong>und</strong> nicht des Richters <strong>und</strong> Stockmeisters. Wiewohl wir aber diesen Psalm nicht<br />

erreichen <strong>und</strong> verstehen können, so ist es doch gut <strong>und</strong> nützlich, daß man ihn wohl kann, auf daß<br />

wir wissen, daß, wenn wir dergleichen Anfechtung haben, wir es nicht allein sind, die also angefochten<br />

werden. Denn also pflegt’s alsdann zu gehen, daß die Vernunft schlechts (nur) ein Urteil fället,<br />

wie sie die Not fühlet, <strong>und</strong> spricht: Er will mein nicht; wie Doktor Krauß. 71 Also fühlet David<br />

hier den grimmigen Zorn Gottes <strong>und</strong> die Verdammnis; nicht die Gnade. Und dennoch weckt er sich<br />

auf <strong>und</strong> spricht: Tue es nicht, lieber Herr, sei mir gnädig, ich bin ja schwach.<br />

Gottes Zorn <strong>und</strong> Grimm ist, daß das Gewissen fühlet, daß es von Gott, vom Wort, vom Glauben<br />

verlassen ist; <strong>und</strong> wirket solches im Herzen der Satan, der den Tod, die Sünde <strong>und</strong> das Gewissen anrichtet<br />

<strong>und</strong> auf Unglauben, Verzweiflung <strong>und</strong> Gotteslästerung dringet <strong>und</strong> treibet mit seinen feurigen<br />

Pfeilen, Eph. 6, welche, wie Hiob 6 sagt, den Geist aussaufen. Der Psalmist ist bloß <strong>und</strong> (leer)<br />

gelassen von allem Trost <strong>und</strong> Vertrauen auf Werke, <strong>und</strong> es schweigen hier die allerhöchsten <strong>und</strong> besten<br />

Werke, ja, sie sind auch noch wohl selbst Kläger. Davon aber wissen die sichern <strong>und</strong> gottlosen<br />

Leute nichts; darum nimmt er seine Zuflucht zu der Gnade <strong>und</strong> Barmherzigkeit Gottes allein <strong>und</strong><br />

bekennet, daß es nicht gelte Wollens noch Laufens, Röm. 9,16. 72<br />

Solches sind Worte der gläubigen Sünder, die sich lernen verlassen <strong>und</strong> trauen nicht auf Verdienst,<br />

sondern auf Gnade. Und also reden <strong>und</strong> rufen vermag weder Vernunft, Natur, noch freier<br />

Wille. Darum verzweifeln sie, sobald sie Anfechtung von ihren Sünden fühlen, <strong>und</strong> erwürgen sich<br />

entweder, ertränken, henken sich oder werden gerührt vom Schlage etc. Dies ist, das er sagt: Ich bin<br />

schwach; da ist keine Kraft mehr, noch einige Hoffnung, Hilfe, noch Trost des Lebens, Seligkeit<br />

noch Gerechtigkeit; sondern eitel Tod, Sünde, Zorn, Hölle. Ich kann nimmer. 73<br />

[In allem Leiden <strong>und</strong> Anfechtung soll der Mensch zuallererst zu Gott laufen, <strong>und</strong> erkennen <strong>und</strong><br />

aufnehmen, daß alles von Gott zugeschickt werde, es komme vom Teufel oder von Menschen. Also<br />

tut hier der Prophet, der in diesem Psalm nennet sein Leiden. Aber zum ersten läuft er zu Gott <strong>und</strong><br />

nimmt das Leiden, d. i. die Feindschaft seiner Feinde nicht von ihnen, sondern von Gott an; denn<br />

mit der Weise lernt sich die Geduld <strong>und</strong> Furcht Gottes. Wer aber den Menschen ansieht <strong>und</strong> nicht<br />

von Gott annimmt, wird ungeduldig <strong>und</strong> Gottes Verächter.<br />

69 Die in eckigen Klammern stehende Auslegung ist aus den Jahren 1527, resp. sogar 1517.<br />

70 Natürlich fälschlich, indem sie nicht begriffen, wiefern der in der Grube der Anfechtung Schmachtende <strong>und</strong> vor<br />

Durst Vergehende seine Worte nicht immer auswählt <strong>und</strong> wie ein Gesättigter redet.<br />

71 Dieser hatte sich 1528 in Halle selbst entleibt.<br />

72 Röm. 9.<br />

73 Wo bleibt hier das „höhere Leben“, von welchem die stolzen Heiligen rühmen? Diese haben keine Ahnung von der<br />

bis zum Tode immer wieder sich einstellenden Anfechtung der Gläubigen. Ist’s also nicht ein beständig Sterben,<br />

das unser wartet?

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