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Landschaften in Deutschland 2030 Erlittener Wandel – gestalteter ...

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<strong>Landschaften</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> <strong>2030</strong>: <strong>Erlittener</strong> <strong>Wandel</strong> <strong>–</strong> <strong>gestalteter</strong> <strong>Wandel</strong><br />

Bei dem Bemühen, ‚anders zu denken‘, kann vielleicht e<strong>in</strong> weniger ethnozentrischer und kul‐<br />

turimperialistischer Blick auf andere Kulturen anregen, für die selbstverständlich war, dass<br />

alles, was wir für unser Leben brauchen, also dem natürlich Gegebenen entnehmen, durch<br />

Arbeit verwandeln, <strong>in</strong> unsere kulturelle Praxis <strong>in</strong>tegrieren, dass also alle Stoffe und Materia‐<br />

lien und auch lebenden Wesen, die wir ‚verbrauchen‘, aus dem Naturganzen nur entliehen<br />

werden und ihm aktiv oder passiv zurückzugeben s<strong>in</strong>d <strong>–</strong> aktiv etwa durch Praktiken, die auf<br />

e<strong>in</strong>er ‚Befragung‘ der Naturersche<strong>in</strong>ungen nach Wegen der Rückführung beruhen, passiv et‐<br />

wa mit dem E<strong>in</strong>verständnis <strong>in</strong> unsere eigene Endlichkeit und <strong>in</strong> e<strong>in</strong> ‚Aufgehen‘ im Naturgan‐<br />

zen. E<strong>in</strong>e solche, für uns womöglich ‚animistische‘ oder sonst ‚primitive‘ Anschauung vom<br />

Bezug zu ‚Natur‘ könnte, sofern wir sie als e<strong>in</strong>e fremdkulturelle Form e<strong>in</strong>es auch für uns be‐<br />

denkenswerten Gedankens ernst nehmen, womöglich auch zu E<strong>in</strong>stellungen und Handlun‐<br />

gen führen, die andere, menschenfreundlichere <strong>Landschaften</strong> entstehen ließen, als die, mit<br />

denen wir uns jetzt umgeben.<br />

Nun die zweite Anmerkung: Während me<strong>in</strong>es ganzen Vortrags habe ich ständig von ‚wir‘<br />

gesprochen, wie von e<strong>in</strong>em Kollektiv als Gesamtperson, die etwas will oder nicht will, etwas<br />

wünscht oder zu vermeiden sucht, etwas bewirkt, das sie sich vorgenommen oder auch nicht<br />

beabsichtigt hat. Schon e<strong>in</strong>em nüchternen Soziologen muss e<strong>in</strong>e solche Redeweise unverant‐<br />

wortbar ersche<strong>in</strong>en <strong>–</strong> gibt es <strong>in</strong> diesem Kollektiv, das umstandslos mit dem Pronomen 1. Per‐<br />

son Plural benannt wird, ke<strong>in</strong>e sozialen Unterschiede, denen gemäß ‚wir‘ nur für e<strong>in</strong>e Gruppe<br />

<strong>in</strong> real vorstellbaren Geme<strong>in</strong>schaften gelten kann? Darf man von e<strong>in</strong>em pauschalen ‚wir‘ des<br />

Gesellschaftsganzen so reden, als käme ihm e<strong>in</strong> personaler Wille zu? Wie verhält es sich mit<br />

der Repräsentation e<strong>in</strong>es solchen unterstellten Gesamtwillens <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Gesellschafts‐<br />

mitgliedern?<br />

Der Zürcher Philosoph Michael Hampe hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch ‚Tunguska oder Das Ende der Na‐<br />

tur‘ 17 solche Fragen als Aporien e<strong>in</strong>es geschichtsphilosophischen Denkens erörtert, das jenes<br />

Postulat der materialistischen Theorie, die Menschen müssten endlich Subjekte ihrer eigenen<br />

Geschichte werden, gleichsam noch <strong>in</strong> der Negativform festhält <strong>–</strong> eben <strong>in</strong> der Rede davon,<br />

dass wir e<strong>in</strong>e Realität herstellen, die wir so eigentlich gar nicht wollen. Die Denkfigur geht auf<br />

die Schriften des frühen Karl Marx zurück, und e<strong>in</strong>e drastische moderne Version hat der<br />

Schriftsteller, Filmemacher und Geschichtstheoretiker Alexander Kluge geliefert: „Es muß<br />

möglich se<strong>in</strong>, die Realität als die geschichtliche Fiktion, die sie ist, auch darzustellen. Sie hat<br />

e<strong>in</strong>e Papiertiger‐Natur. Den E<strong>in</strong>zelnen trifft sie real, als Schicksal. Aber sie ist ke<strong>in</strong> Schicksal,<br />

sondern gemacht durch die Arbeit von Generationen von Menschen, die eigentlich die ganze<br />

Zeit über etwas ganz anderes wollten und wollen. Insofern ist sie <strong>in</strong> mehrfacher H<strong>in</strong>sicht<br />

gleichzeitig wirklich und unwirklich.“. 18<br />

Wie sollen wir uns erklären, dass aus den vielen Wünschen, Bedürfnissen, Interessen der e<strong>in</strong>‐<br />

zelnen Menschen <strong>in</strong>sgesamt Verhältnisse entstehen <strong>–</strong> so auch <strong>Landschaften</strong> <strong>–</strong>, die wir eigent‐<br />

lich gar nicht wollten und wollen? Es reicht ja nicht h<strong>in</strong> zu sagen, das Abholzen der Tropen‐<br />

wälder oder die Vermaisung unserer mitteleuropäischen bäuerlichen <strong>Landschaften</strong> gehe auf<br />

die Interessen e<strong>in</strong>iger weniger zurück, die sich die Macht verschafft haben, eben ihre E<strong>in</strong>zel<strong>in</strong>‐<br />

teressen durchzusetzen. Würden nicht ‚wir alle‘ <strong>in</strong> aberwitzigem Ausmaß Hamburger essen<br />

und mit Autos herumfahren und Strom verbrauchen, könnten und müssten die erwähnten<br />

17 Michael Hampe: Tunguska oder Das Ende der Natur. München: Hanser 2011.<br />

18 Alexander Kluge: Die schärfste Ideologie: Dass sich die Realität aif ihren realistischen Charakter<br />

beruft. In: ders.: Gelegenheitsarbeit e<strong>in</strong>er Sklav<strong>in</strong>. Zur realistischen Methode. Frankfurt/M.:<br />

Suhrkamp 1975, S.215<strong>–</strong>222; hier S. 215.<br />

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