ZWISCHEN PHILOSOPHIE UND SPIRITISMUS
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16 | WISSENSCHAFT(EN) IM 19. JAHRH<strong>UND</strong>ERT<br />
Faktenhaften“ oder der „Autarkie der wissenschaftlichen Erkenntnis“ 13 , zu der die damaligen Naturwissenschaftler<br />
gelangten. Wissenschaft wurde in Bezug auf den Neugewinn, den Ausbau und die Vertiefung von Wissen nicht nur<br />
zu einem bedeutenden Faktor in der Hervorbringung von Kultur, sondern es wurde über sie auch versucht, Normen<br />
und ethische Werte zu transportieren, indem durch sie weltanschauliche Positionen formuliert wurden. Besonders<br />
für die Naturwissenschaften lässt sich sagen, dass diese ebenso bewusst eingesetzte als auch unbewusst gebrauchte<br />
Strategie insofern als gelungen angesehen werden kann, da die Naturwissenschaften im Bewusstsein der breiten<br />
Bevölkerung nach und nach zu einem Ansehen gelangten, wie sie es nie zuvor hatten und das bis heute anhält. Im<br />
Gegensatz zur Theologie und Philosophie, die als „Dienerinnen der Volksbedrücker“ 14 jetzt mehr und mehr Ablehnung<br />
und Verachtung ernteten, versprach man sich von den Naturwissenschaften einschneidende Verbesserungen<br />
in der allgemeinen Lebensführung, sie sollten das Glück der Menschen befördern.<br />
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden neben einzelnen Denkern und klugen Köpfen ganze Massen über die<br />
Wissenschaft in Bewegung gesetzt. Die Evolutionstheorie Charles Darwins in ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen<br />
wie dem haeckelschen Darwinismus und dem Sozialdarwinismus, aber auch die neue Marxsche ‚wissenschaftliche’<br />
Theorie über die Gesellschaftsrealität wurden zu den grundlegenden Motoren einer neuen Wissensgesellschaft.<br />
Gleichzeitig wurde die Wissenschaft zu ihrem eigenen Mythos, der sich bis heute in eine Vielzahl oft<br />
unhinterfragter Teilmythen differenziert, ja gar ausfranst. Man kann in Karl Marx´ Satz „Das menschliche Wesen<br />
ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der<br />
gesellschaftlichen Verhältnisse.“ 15 auch eine Reflektion darüber lesen, welche Auswirkungen diese Haltung auf den<br />
menschlichen ‚Seelenapparat’ mit sich brachte. Denn solange man der Natur einen Geist innewohnen ließ, hatte<br />
dieser auch Wirkungskraft im Selbstbild des einzelnen Individuums, wird aber die Natur (auch die des Menschen)<br />
zu einer rein materiellen Substanz, wird auch das Selbstverständnis des einzelnen Individuums in einen materiell<br />
determinierten Kontext gezwängt.<br />
War es im 18. und frühen 19. Jahrhundert noch der naturwissenschaftliche Materialismus gewesen, der die Wissenschaft<br />
vorantrieb und das Banner des Fortschritts ins Kampffeld der Wissenschaft trug, mit dem Ziel eine bessere<br />
Zukunft zu erringen, so war es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der noch junge Darwinismus, der als ‚das’ neue<br />
wissenschaftliche Paradigma galt, an dem sich von nun an viele orientierten, glaubten und auf den sie hofften. Seit<br />
1863 trat in Deutschland nun der „Kampf, der durch die Darwin’sche Entwicklungstheorie entbrannt“ war, als ein<br />
„Kampf um die Wahrheit“ 16 , hervor.<br />
War die Physik zunächst nur auf materielle Gegenstände wie fallende Körper, strömende Flüssigkeiten und die<br />
Gestirne, also Dinge, die den mechanischen Gesetzmäßigkeiten unterlagen, beschränkt, so wurde doch sehr schnell<br />
klar, dass es daneben noch eine weitere Dimension der Physik gab, die man ‚Imponderabilien’ nannte. Der Begriff<br />
geht wahrscheinlich zusammen mit seinem Gegenbegriff den ‚Ponderabilien’ auf Antoine Laurent de Lavoisier 17<br />
zurück, der damit die nicht wägbaren Elementarstoffe (z. B. Lichtstoff) von den wägbaren Grundbestandteilen von<br />
Gasen unterschied. In der Physik fasste man unter anderem Wärme, Licht, Elektrizität und Magnetismus darunter<br />
zusammen. Man konnte diese Gebiete zwar experimentell, jedoch kaum mathematisch behandeln. Es gelang<br />
13 Vgl. Zigman, Peter (Hg.): Einblicke in eine sterbende Ära 2000: S. 9.<br />
14 Zigman 2000: S. 9.<br />
15 Aus Marx’ Thesen über Feuerbach. In: Marx, Karl – Engels, Friedrich: Werke, Bd. 3, Dietz, Berlin 1962: S. 533–535.<br />
16 Zigman 2000: S. 10.<br />
17 Frz. Chemiker (1743–1794).