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ZWISCHEN PHILOSOPHIE UND SPIRITISMUS

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an. Ab 1870 begann Zöllner einen anderen Weg zu beschreiten, Auslöser hierzu war eine Denkschrift, die die Deutsche<br />

Chemische Gesellschaft zum Ausscheiden ihres Gründungspräsidenten herausgab.<br />

Hierin widerstrebte ihm<br />

„die Vermischung von Wissenschaft und Macht, die Imitation der gesellschaftlichen Symbolik von Kapital<br />

und Adel und die mythologisierende Profanierung religiöser Formen auf, die ihm als Verrat an der Wissenschaft<br />

und als der beginnende Verfall Deutscher Sitte in der deutschen Wissenschaft“<br />

galt 27 . Für Zöllners noch traditionelles Bild des ‚deutschen Gelehrtentum’ wirkte das hereinbrechende naturwissenschaftlich-technische<br />

Zeitalter mit seinem Interesse an industriell verwertbaren Ergebnissen als das Eindringen<br />

von etwas Fremdem und Bedrohlichem in seine bis dahin reine und hehre Welt des Geistes. Die Denkschrift und<br />

die darin beschriebenen Feierlichkeiten galten Zöllner als Beweis dafür, dass sich die wissenschaftliche Vernunft<br />

korrumpieren ließ. Ihm fehlte fortan der philosophische Geist in der Sache und das zu Gunsten eines, in seinen<br />

Augen, platten Empirismus und Operationalismus, die beide bloß Resultate liefern sollten und nur noch ‚Warencharakter’<br />

besaßen, entsprungen den Fabriklaboratorien zu Diensten einzig und allein einem „wissenschaftlichen<br />

Proletariat“ 28 .<br />

Seine spöttische Kritik entfaltete sich in Zyklen: am Beginn richteten sich seine Angriffe gegen materielle Interessen,<br />

diese sollten mit allen Mitteln vom Gebiet der Wissenschaften ausgeschlossen bleiben. Dabei argumentierte<br />

er einleuchtend mit seiner von ihm vertretenen evolutionistischen Erkenntnis- und Morallehre. Daraus entwickelte<br />

sich schließlich in einer logischen Fortschreibung dieses Denkens seine Polemik gegen die „unphilosophische und<br />

antimetaphysische Haltung der Physik und Physiologie“ 29 und schließlich folgte daraus das Anathema zum neuzeitlichen<br />

Rationalismus, das schließlich mehr und mehr zu seinem Thema wurde und ihn im universitär-wissenschaftlichen<br />

Bereich zu einer Persona non grata machte, dem Spiritismus - er wurde zum Testfall der Wissenschaftskultur<br />

erklärt.<br />

Vor diesem stark vereinfachten Weltbild Zöllners fällt die Interpretation seiner Polemik in seinem Angriff gegen du<br />

Bois-Reymond in genau diese beiden Schwerpunkte seiner Überzeugungen - dem Entwicklungsprinzip und seiner<br />

Ablehnung der industriellen Verwissenschaftlichung.<br />

Für Zöllner war die Rede du Bois-Reymonds nichts anderes als Augenwischerei einer Wissenschaftskultur, die ihre<br />

Ideale verraten hatte, die hier ihr wahres Gesicht zeigte und nun offen zur Schau trug, wohin Eitelkeit, Materialismus<br />

und Spezialistentum führte. Diese kamen in Form von Skeptizismus und Agnostizismus in die Wissenschaft<br />

zurück und führten zu einem bewussten Ausweichen vor Verantwortung. 30 Denn es ging hier mehr als um ein „wir<br />

werden es nie wissen“ in den Wissenschaften. Es ging hier um deren zukünftige Form der Praxis und den Gehalt<br />

und die Aussagen über ihren Gegenstandsbereich, es ging um ihre zukünftigen Normen und um den verzweifelten<br />

Kampf, ihr bisheriges Ethos weiter zu tradieren. Es ging um die Rettung des drohenden Verlustes der wissenschaftlichen<br />

Einheit: der Einheit von Philosophie und Naturwissenschaft, von Empirie und Erkenntnistheorie, von<br />

melskörper, Engelmann, Leipzig 1865.<br />

27 Vgl. Meinel, Christoph: Karl Friedrich Zöllner und die Wissenschaftskultur der Gründerzeit,1991: S. 20.<br />

28 Beide Begriffe aus: Zöllner, Karl Friedrich: Über die Natur der Cometen: Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntnis. 2.<br />

unveränd. Aufl., Engelmann, Leipzig 1872.<br />

29 Meinel 1991: S. 11.<br />

30 Meinel 1991: S. 44.

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