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ZWISCHEN PHILOSOPHIE UND SPIRITISMUS

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272 | ANHANG<br />

6. EIN FAKIR IN MÜNCHEN<br />

Ein Sitzungsbericht von Oskar Panizza, 18.11. 1892<br />

Die „Gesellschaft für wißenschaftliche Psychologie“ hatte gestern Abend in ihrem Privat-Lokal „Orlando di Baßo“<br />

eine besonders intereßante Sitzung veranstaltet wozu sich mehrere Gäste auf private Einladung hin eingefunden<br />

hatten. Ein dem arabischen Stamm der Aïssana angehöriges Mitglied, deren phänomenale Leistungen in Autosuggestion,<br />

Unverwundbarkeit, schwerer Verletzung des Körpers, partialer Verbrennung, Eßen von glühenden<br />

Kohlen u. dsgl. vor 3 Jahren auf der Pariser Ausstellung4 allgemeines Verwundern erweckt hatten, stellte sich vor.<br />

Nach einigen einleitenden Worten des Vorstandes der Gesellschaft betrat ein Mann in den mittleren Jahren mit<br />

ausgesprochen kaukasischen Gesichts-Typus, ebensolcher Hautfarbe, röthlichem Schnurbart in arabischer Tracht<br />

das kleine Podium. Er präsentirte sich in recht gewandtem Französisch unter Vorzeigen seines Paßes als Soliman<br />

ben Aïssa und Angehöriger des arabischen Stammes der Aïssana; definirte diesen Stamm als eine analoge Büßer-<br />

und Wunderthäter-Gesellschaft wie die Derwische in den muhamedanischen Ländern und die Fakire in Indien;<br />

und schloß daran eine längere Erzählung wie ein Heiliger seines Stammes, zu dem von den Ärzten aufgegebenen<br />

Sultan von Marokko berufen [?], viele, viele Tagesreisen zurückzulegen hatte, auf dem Wege, vom Hunger gepeinigt<br />

giftigen Schlangen aß ohne Schaden zu nehmen, zuletzt glücklich entkam und durch seine Vorschriften den Sultan<br />

rettete. – Soliman erklärte dann, zu seinen Experimenten hinsichtlich der Unverwundbarkeit übergehen zu wollen.<br />

Ein Kohlenboden wurde hereingebracht, und der Experimentirende streute ein Pulver über die glühende Kohlen,<br />

deßen weißlichen Dampf er längere Zeit tief und anhaltend einsog. Dann machte er jene von den Derwischen<br />

schon in Konstantinopel bekannten rythmischen, mit dem Oberkörper auf- und ab-pendelnden Bewegungen,<br />

die, an Intensität und Zahl steigend, zuletzt in turbulente, clown-artige Schwingungen übergehen, aus denen mit<br />

einem dumpfen Schrei auffahrend, er, im Ganzen 8 Minuten dauernder Vorbereitungs-Zeit, vollständig gefaßt<br />

und beruhigt der Versammlung zu erklären, er sei nun in jenem Zustand der Anäthesie und Unverwundbarkeit,<br />

der die unvermeidliche [?] Verbindung für seine Experimente bilde; gleichzeitig hinzufügend, bei Hypnotisirten<br />

gelungen wohl ähnliche Versuche wie er sie nun zeige; selbe schliefen aber; während er wach sei. – Soliman ben<br />

Aïssa durchstach dann, nach vorherigen Annäßen der betreffenden Stellen und Benetzen der betreffenden Nadeln,<br />

beide Ohrläppchen, beide Wangen und die Fleischtheile am Hals, die vor dem Kehlkopf liegen. Ein anwesender Arzt<br />

durchstach mit einer schweren, dicken Nadel die Zunge von oben nach unten. Ebenso wurde das obere Augenlid<br />

durchstochen. Schmerzempfindung war bei keiner dieser Operationen wahrzunehmen. Punktförmiges Bluten,<br />

welches auf einem weißen Taschentuch abgedrückt wurde, geht als überflüßiger Beweis, daß die Durchstechungen<br />

wirklich stattgefunden hatten. Die Anästhesie, die Schmerzlosigkeit, war glatt bewiesen. – Das folgende Experiment,<br />

bei dem Soliman eine größere Anzahl angeblich giftiger Schlangen aus einem Kasten nahm, sich von selben<br />

beißen ließ, und zuletzt einer Schlange den Kopf als kein Zoologe anwesend war, der die Giftigkeit der Giftzähne<br />

nachgewiesen hätte. – Überzeugender war die nächste Vorführung bei der der Muhamedaner ein Kristal-Wein-Glas<br />

zerbrach und größere Theile desselben unter hörbaren Knirschen verspeiste. Der gleich darauf graduzirte, sanguinolant<br />

gefärbte Speichel ließ darüber keinen Zweifel. – Zuletzt zündete Soliman ben Aïssa einen ca. Fingerdicken<br />

Docht an und, nachdem er sich vorher über dem Kohlenbecken und denselbst aufgestreutem Pulver gestärkt, und<br />

neuerdings die turbulenten, heftig schwingenden Bewegungen mit dem Oberkörper wiederholt hatt, hielt er bei<br />

4 Gemeint die Pariser Weltausstellung von 1889.

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