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ZWISCHEN PHILOSOPHIE UND SPIRITISMUS

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daher meist nur sehr unbefriedigend, die zwar qualitativen, oft aber auch spekulativen Erkenntnisse über die<br />

Imponderabilien in der Physik mit der Mechanik zu verbinden und sie auch quantitativ zu fassen zu bekommen. Für<br />

all jene, die sich um eine widerspruchsfreie Naturbeschreibung und eine aufeinander beruhende und aufbauende<br />

Erläuterung der natürlichen Vorgänge bemühten, bildeten die Imponderabilien eine meist unüberwindbare Hürde<br />

und damit ein stetiges Ärgernis.<br />

Auch wenn sie eher den kleineren Flügel im großen Wissensbetrieb darstellten, so gab es doch auch jene, die<br />

vorsichtiger und mit größeren Zweifeln und gewissen Ressentiments dem Erkenntnisoptimismus, der aus dem mechanistischen<br />

‚Gesamtprogramm’ resultierte, entgegenstanden. Anderthalb Jahre nach der Reichsgründung kam<br />

es am 14. August 1872 auf der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Leipzig zu einem öffentlichen<br />

Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Skeptikern bezüglich des mehr und mehr vorherrschenden Weltbildes,<br />

der sich schrittweise zu einem wissenschaftlichen Eklat auswuchs. Carl Friedrich Wilhelm Ludwig (1816–1895),<br />

seiner Profession nach Physiologe, zog in seiner historischen Eröffnungsrede eine stolze Bilanz seiner Zeit. Er wies<br />

auf die wissenschaftlichen Erfolge der vergangenen Jahre hin, auf die fortschreitende Allgemeinbildung im Bereich<br />

der Naturwissenschaften, auf die immer größer werdende Zahl der Institute und Laboratorien und deren ebenfalls<br />

wachsende Zahl an Absolventen und auf die immer feiner werdende gegenseitige Abstimmung von Theorie und<br />

Praxis, die letzten Endes in einer glücklichen Verbindung harmonisch miteinander verschmelzen würden.<br />

Die kritische Gegenrede zu Carl Ludwigs Vortrag hielt sein Kollege Emil du Bois-Reymond (1818–1896). Er lenkte<br />

den Blick der teilnehmenden Wissenschaftler des Kongresses in die Zukunft. Ebenso wie Carl Ludwig und Hermann<br />

Helmholtz18 war du Bois-Reymond Schüler des bedeutenden Physiologen Johannes Müller (1801–1858). Wie diese<br />

bemühte sich auch du Bois-Reymond darum den Beweis zu führen, dass Müllers zentrales physiologisches Konzept,<br />

das der ‚Lebenskraft‘, sich als gegenstandslos erwies. Alle drei, du Bois-Reymond, Ludwig und Helmholtz, beschritten<br />

dabei unterschiedliche Wege. Du Bois-Reymond reduzierte seine Konzentration auf elektrische Phänomene,<br />

Ludwig suchte die entscheidenden Gegenargumente auf Seiten der Chemie und Helmholtz konzentrierte sich<br />

hauptsächlich auf die Mechanik.<br />

Der Vortrag, den du Bois-Reymond auf der Versammlung hielt, trug den Titel Über die Grenzen des Naturerkennens. 19<br />

Auch er war der Überzeugung, dass die Wissenschaft mit ihrer Forschung die Grenzen des zu Erkennenden immer<br />

weiter „nach außen“ verschieben würde können, wohl aber räumte er in zweierlei Hinsicht prinzipielle Erkenntnisschranken<br />

explizit ein. Ins Feld zog er allerdings nicht mit einer wissenschaftlichen, auf Zahlen basierenden<br />

Erkenntnis, sondern mit einer grundsätzlichen und philosophisch begründeten Aussage. Die Erkenntnisschranken<br />

lagen für ihn zum einen darin, dass die ‚Wirklichkeit‘ der Materie und der Energie nicht zu ergründen sei und zum<br />

anderen, dass das Rätsel, wie aus Materie und Energie Bewusstsein entstehe, nicht gelöst werden könnte. Alle erwähnten<br />

und noch offenen Fragen versah er mit einem ignoramus, wir wissen es noch nicht, lediglich diese beiden<br />

Punkte versah er ausdrücklich mit einem ignorabimus – wir werden es niemals wissen20 . Du Bois-Reymond bezeichnete<br />

auf der Versammlung von 1872 zwei Probleme als schlechthin unüberwindbare ‚Grenzen des Naturerkennens’:<br />

„Unser Naturerkennen ist also eingeschlossen zwischen den beiden Grenzen, welche einerseits die Unfä-<br />

18 Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821–1894) war ein deutscher Physiologe und Physiker. Als Universalgelehrter<br />

war er einer der vielseitigsten Naturwissenschaftler seiner Zeit. Er wurde auch der ‚Reichskanzler der Physik’ genannt.<br />

19 Vgl. Du Bois-Reymond, Emil. Über die Grenzen des Naturerkennens (1872), in: Du Bois-Reymond, Emil. Vorträge über Philosophie<br />

und Gesellschaft (hrsg. von Siegfried Wollgast), Philosophische Bibliothek 287, Hamburg 1974, S. 54–77.<br />

20 Ebd.

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