ZWISCHEN PHILOSOPHIE UND SPIRITISMUS
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18 | WISSENSCHAFT(EN) IM 19. JAHRH<strong>UND</strong>ERT<br />
higkeit, Materie und Kraft, andererseits das Unvermögen, geistige Vorgänge aus materiellen Bedingungen<br />
zu begreifen, ihm ewig stecken.“ 21<br />
Die Folge seines Vortrags war eine Flut schärfster und heftigster, lang anhaltender Polemik, die von Seiten der<br />
Naturwissenschaftler geäußert wurde. Sie trafen seine Äußerungen besonders hart, da bis dahin noch nie zuvor<br />
von so angesehener Warte Vorbehalte und Grenzziehungen dieser Art gegenüber der, bisher als unbegrenzt<br />
geltenden Erkenntnisfähigkeit der Wissenschaften gezogen worden waren. So spaltete sich die Zunft in zwei Lager,<br />
von welchen das eine inne hielt und den Redner für die Erkenntnis lobten, dass es durchaus Fragen zu beantworten<br />
gebe, die nicht in das Aufgabengebiet der Naturforscher und ihrer Wissenschaften gehörten, sondern eine Aufgabe<br />
für Philosophen und Theologen war. Die anderen allerdings sahen in seiner Rede nur den feigen Verrat an der Wissenschaft<br />
und, was noch schlimmer war: einen Dolchstoß gegen den Fortschritt. Besonders scharf fiel die Kritik des<br />
Leipziger Astrophysikers Karl Friedrich Zöllner (1834–1882) aus, der du Bois-Reymond in einer literarischen Fiktion<br />
mit viel Pathos und mit einer mythologischen Deutschtümelei, mit der er gleichsam ein nationales Fegefeuer für<br />
die Nicht-Wissenschaftler konstruierte, wie folgt verdammte:<br />
„Er wird verurteilt, am Sedantag von der Loreley gestürzt zu werden. Und während er ‚furchtlos in das unbarmherzige<br />
Getriebe der entgötterten Natur blickend’, dem ignorabimus sein laboremus entgegen ruft,<br />
schalt aus der Tiefe das Echo oremus, und der Deliquent versinkt im mythischen deutschen Rhein.“ 22<br />
Zöllners Kritik mag im ersten Moment eigentümlich anmuten, griff er doch hiermit einen den Materialismus<br />
kritisch reflektierenden Wissenschaftler aufs schärfste an, als wäre er dessen erster Jünger. Doch muss man um die<br />
Kritik richtig zu verstehen, ein paar Sätze mehr zu Zöllners Person angeben. Zöllner war ein national anerkannter<br />
Astrophysiker aus Leipzig, der in seinem Arbeitsgebiet als Koryphäe galt. Zöllner ging es um ein gleichberechtigtes<br />
Nebeneinander von Astrophysik und Positionsastronomie. Voraussetzungen dazu waren die Allgemeingültigkeit<br />
des Kausalgesetzes und die physikalische Homogenität des Kosmos, was bedeutet, dass Materie überall und jederzeit<br />
gleich beschaffen sind. Er ging davon aus, dass das Erklären physikalischer Phänomene bedeute, sie auf bereits<br />
bekannte Eigenschaften der Materie zurück zu führen, dass die Welt allumfassend durchdringbar und mit Begrifflichkeiten<br />
kausalmechanischer Zusammenhänge zu beschreiben war. 23 Diese vier Grundpfeiler, auf denen seine Einheitsvorstellungen<br />
basierten spielten eine fundamentale Rolle für seinen ‚Zöllnerkosmos‘. 24 Dabei spielte für ihn das<br />
Entwicklungsprinzip, die Vorstellung einer zeitlichen Evolution des Kosmos und der Materie, eine zentrale Rolle. Er<br />
knüpfte damit bei Immanuel Kants Allgemeiner Naturgeschichte und Theorie des Himmels von 1755 an. Kant hinter<br />
sich lassend, sah Zöllner den Kosmos allerdings als ungeschaffen und ewig an, weil er anders das Kausalprinzip<br />
nicht hätte rechtfertigen und logisch erklären können. 25 Er sah die Eigenschaften der Materie als eine „notwendige<br />
Folge ihres Anfangszustandes und lediglich als verschiedene Stadien ein und desselben Entwicklungsprozesses“ 26<br />
21 Du Bois-Reymond , Emil. Über die Grenzen des Naturerkennens (1872), in: Du Bois-Reymond, Emil. Vorträge über Philosophie<br />
und Gesellschaft (hrsg. von Siegfried Wollgast), 1974: S. 54–77.<br />
22 Zöllner, Karl Friedrich: Über Emil du Bois-Reymonds Grenzen des Naturerkennens, in: Zöllner, Karl Friedrich: Wissenschaftliche<br />
Abhandlungen, Bd. 1, Leipzig 1878: S. 289–416. / Vgl. Meinel, Christoph: Karl Friedrich Zöllner und die Wissenschaftskultur der<br />
Gründerzeit Eine Fallstudie zur Genese konservativer Zivilisationskritik Berliner Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften<br />
und der Technik Bd. 13, Sigma, Berlin 1991.<br />
23 Ebd.<br />
24 Vgl. Meinel , Christoph: Karl Friedrich Zöllner und die Wissenschaftskultur der Gründerzeit, 1991: S. 13 f.<br />
25 Vgl. Meinel 1991: S. 14.<br />
26 Zöllner, Karl Friedrich: Photometrische Untersuchungen mit besonderer Rücksicht auf die physikalische Beschaffenheit der Him-