Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4, 1998 Hill<br />
AKTUELLE ANALYSE<br />
Jörn Lamla<br />
Grüne Professionalisierungsansätze<br />
Perspektiven für den reformpolitischen Kernbestand<br />
der neuen Regierungspartei<br />
1 Einleitung<br />
Die Partei Bündnis 90/Die Grünen hat es geschafft:<br />
Sie kann erstmalig auf Bundesebene<br />
Regierungsverantwortung übernehmen und ihre<br />
reformpolitische Gestaltungskompetenz unter<br />
Beweis stellen. Doch sollten die Grünen ihre<br />
Wahlkampfdebakel nicht vorschnell vergessen,<br />
um die nötigen Lehren zu ziehen, die für eine<br />
Sicherung ihres Bestands unter den spannungsgeladenen<br />
und teilweise widersprüchlichen<br />
Anforderungen einer Reformpolitik in der Regierungskoalition<br />
dringend erforderlich sind.<br />
Den diesbezüglich abverlangten Selbstveränderungen<br />
ist dabei als Maßstab die Sicherung<br />
des Kembestands ihres reformpolitischen Projekts<br />
gegenüberzustellen. Die Lösung kann nur<br />
in einer geeigneten Professionalisierungsstrategie<br />
im Rahmen einer Parteistrukturreform liegen,<br />
die den Grünen eine kunstfertige Balancierung<br />
zwischen Neuanpassung und Bewahrung<br />
ihres reformpolitischen Projekts erlaubt.<br />
Dazu werden im folgenden einige programmatische<br />
Überlegungen vorgestellt. Zunächst<br />
wird skizziert, was den Kernbestand des grünen<br />
reformpolitischen Projekts kennzeichnet,<br />
wobei die professionellen Anforderungen, die<br />
aus diesem erwachsen, am grünen Erfolgsmodell<br />
Joschka Fischer', dem die Partei erheblichen<br />
Dank für den Wiedereinzug in den Bundestag<br />
schuldet, kurz erläutert werden (Kap.<br />
2). Das Hauptaugenmerk liegt auf der abstrahierenden<br />
Übertragung von Strukturmerkma<br />
len dieses ,Erfolgsmodells' auf die Ebene einer<br />
Parteireform. Dabei werden verschiedene<br />
Ansätze, die gegenwärtig bei den Grünen im<br />
Gespräch sind, auf ihr spezifisches Professionalisierungspotential<br />
hin beleuchtet und in einen<br />
systematischen Zusammenhang gebracht<br />
(Kap. 3). Meine These lautet, daß die Grünen<br />
für eine offensive und professionelle Weiterentwicklung<br />
im Lichte des Kembestands ihres<br />
reformpolitischen Projekts eine Parteireform<br />
benötigen, in der die zu balancierenden Anforderungen<br />
in einer Gremienstruktur aus Parteipräsidium,<br />
Grundsatzkommission und ,Grüner<br />
Akademie' koordiniert ausdifferenziert werden.<br />
2 Der reformpolitische Kernbestand<br />
des grünen Projekts<br />
Die soziologische Rekonstruktion des Kernbestands<br />
des grünen Projekts erfordert, daß Strukturen,<br />
die der reformpolitischen Orientierung<br />
der Grünen zugrundeliegen, möglichst allgemein<br />
und trennscharf (d.h. umfassend und nicht<br />
reduzierbar) herausgearbeitet werden. Hinsichtlich<br />
der normativen Sinnstruktur, die hierfür<br />
den Ausgangspunkt bildet, kann nur bedingt<br />
an inhaltliche Grundwerte, wie sie etwa in den<br />
bekannten grünen Grundsäulen - ökologisch,<br />
sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei - zum<br />
Ausdruck kommen, angeknüpft werden: Sie<br />
können sich als zu allgemein und nichtssagend<br />
(ökologisch, sozial) oder als in ihrer Substanz<br />
zu einengend und daher parteihistorisch<br />
obsolet (basisdemokratisch, gewaltfrei) heraus-