Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FRAMING - DIE KOGNITIV-SOZIALE DIMENSION VON SOZIALEM PROTEST HEB<br />
tiver, ja strategisch eingesetzter Bestandteil<br />
des Konfliktgeschehens zwischen den Trägern<br />
sozialer <strong>Bewegungen</strong> und ihren meist staatlichen<br />
Adressaten, sondern sie macht selbst vor<br />
den Toren der wissenschaftlichen Erfassung<br />
und Beschreibung des Auftretens von Gewalt<br />
nicht halt, wobei es vor allem darum zu gehen<br />
pflegt, ,wer den ersten Stein geworfen<br />
hat'.<br />
Die Unterthematisierung der Gewalt durch die<br />
Sozialwissenschaften, die normative Überformung<br />
des analytischen Zugriffs auf die Gewalt<br />
sowie die Tatsache der notorischen Umstrittenheit<br />
der Gewaltfrage, sowohl des Ob<br />
als auch - wichtiger noch - die des Wie und<br />
vor allem die Frage nach dem Initiator der<br />
Gewalt in einem Konflikt, signalisieren, daß<br />
der Gewalt offensichtlich eine ganz zentrale<br />
Bedeutung für soziale <strong>Bewegungen</strong> zukommt.<br />
Wir wollen deshalb einen kurzen Blick auf die<br />
Befunde und Antworten werfen, die sich aus<br />
der bisherigen Forschung bezüglich dieser Fragen<br />
ergeben.<br />
Erstens: Eine große Fülle sozialhistorischer und<br />
aktueller Befunde verweisen darauf, daß Bereitschaft<br />
und Ausmaß der Anwendung von<br />
Gewalt in Konfrontationen zwischen staatlichen<br />
Akteuren und Trägem sozialen und politischen<br />
Protests eher bei den Trägem staatlicher<br />
Gewalt als bei den Herausforderern anzutreffen<br />
sind. Einer der prominentesten Forscher<br />
hierzu, Charles Tilly (1975: 177), spricht von<br />
dem „heavy involvement of agents of the State,<br />
especially repressive agents like police and soldiers"<br />
und widerspricht gleichzeitig der Vermutung,<br />
wonach es sich in der Regel um ein<br />
reaktives Eingreifen staatlicher Akteure jenseits<br />
einer bestimmten Gewaltschwelle handle:<br />
„For in the modern European experience<br />
repressive forces are themselves the most consistent<br />
initiators and performers of collective<br />
violence" (Tilly 1975: 177).<br />
HAUPTBEITRÄGE<br />
Zu dem gleichen Ergebnis kommt eine Reihe<br />
anderer Autoren. Oberschall resümiert in seinem<br />
Lehrbuch die historische Forschung wie<br />
die aktuellen Untersuchungen der gewaltgehäuften<br />
sechziger Jahre: „The authorities do<br />
not lightly and randomly initiate violence as a<br />
rule. Nevertheless, it is their actions or reactions<br />
that Start violence, and, when the confrontation<br />
is under way, their actions that produce<br />
the bulk of the casualties" (Oberschall<br />
1973: 335). Noch direkter und präziser hat<br />
Skolnick, ein renommierter Forscher und Mitglied<br />
der ,Kerner-Commission', die 1967 von<br />
Präsident Johnson zur Analyse der Detroit-Unruhen<br />
eingesetzt worden war, formuliert: "It is<br />
not unusual [...] for a riot to beginn and end<br />
with police violence" (Skolnick 1969: 258;<br />
Hervorh. d.V). Einer der Autoren dieses Beitrags<br />
(Sack 1984) hat für die Eskalation der<br />
deutschen Studentenbewegung in die Gewalthaftigkeit<br />
- bis hin zum Exzeß des Terrorismus<br />
- ebenfalls den Einsatz und die Kontrolle<br />
der staatlichen Gewalt herausgearbeitet und betont.<br />
4<br />
Diese den Konflikt anheizende und die Konfrontation<br />
bis zur Eskalation in die Gewalt treibende<br />
initiierende Rolle, die die staatlichen<br />
Sicherheitsbehörden, insbesondere die Polizei,<br />
in solchen Auseinandersetzungen oft genug<br />
spielen, geschehen oft unter Verletzung der den<br />
staatlichen Akteuren gesetzten Grenzen und<br />
Regeln, was Baibus (1973) zu einer allgemeinen<br />
Theorie der rechtsstaatswidrigen ,Legal<br />
Repression' kollektiver politischer Auseinandersetzungen<br />
veranlaßt hat, die ihren wesentlichen<br />
empirischen Ertrag ebenfalls den zahlreichen<br />
Konfrontationen zwischen den Trägem<br />
kollektiven Protests und sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />
und den staatlichen Ordnungskräften während<br />
der amerikanischen Bürgerrechts- und Studentenbewegung<br />
in den sechziger Jahren verdankt.<br />
Eine praktische und politische Konsequenz<br />
hieraus, die das Selbstverständnis staatlicher