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Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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PROTEST UND GEWALT<br />

Der Unterschied von Freiheit und Unfreiheit<br />

in bezug auf das Verhältnis von Macht und<br />

Gewalt erweist sich selbst für das Machtverständnis<br />

Niklas Luhmanns als aufschlußreich.<br />

So stellt auch für Luhmann Macht immer ein<br />

Handeln auf Handeln dar (Luhmann 1975);<br />

dabei bedeutet für ihn Handeln können Entscheiden<br />

können, zwischen mehreren Alternativen<br />

Auswählen können: so oder anders. In<br />

diesem Sinne erweist sich Handeln aber als<br />

kontingent, als immer auch anders möglich;<br />

ist dies der Fall, haben wir es mit Kontingenz,<br />

d.h. mit Freiheit zu tun. Denn Freiheit bedeutet<br />

letztlich nur Kontingenz, die sich erst daran<br />

zeigt, ob eine Konstellation kontingent ist oder<br />

nicht; wer nicht zwischen Alternativen wählen<br />

kann, sondern zwangsläufig reagiert, ist auch<br />

nicht frei. Haben wir es daher mit Macht zu<br />

tun, geht es immer um eine Konstellation doppelter<br />

Kontingenz: Alle Beteiligten sind frei,<br />

für sich zu entscheiden, was sie zu tun gedenken.<br />

Gerade das ermöglicht erst die wechselseitige<br />

Einflußnahme, um andere durch Handeln<br />

in eine bestimmte Richtung des Handelns<br />

zu bewegen (,Handeln auf Handeln'). Umgekehrt<br />

entbehrt Gewalt jede Art doppelter Kontingenz,<br />

da Alternativen des Handelns für den,<br />

der sich gezwungen sieht, ausgeschlossen sind:<br />

so und nicht anders - „Die Wahlmöglichkeiten<br />

des Gezwungenen werden auf Null reduziert"<br />

(Luhmann 1988: 9). Gewalt hat somit zur Folge,<br />

„daß Macht durch aktuelle Ausübung von<br />

physischem Zwang, durch Anstoßen der Körper,<br />

annulliert wird; zumindest für die Situation,<br />

in der das geschieht" (Luhmann 1988: 61).<br />

Somit kommt es zur Gewalt, wenn Macht versagt<br />

(Luhmann 1974).<br />

Definiert man das Verhältnis von Macht und<br />

Gewalt dergestalt über den Unterschied von<br />

Freiheit und Unfreiheit, könnte man in bezug<br />

auf die Fragestellung dieses Themenheftes versucht<br />

sein zu sagen: Kommt es zur Gewalt, hat<br />

Protest versagt, sofern man Protest als eine<br />

HAUPTBEITRÄGE<br />

Form von Macht versteht, also als den Versuch,<br />

durch Handeln und nicht durch Zwang<br />

auf Handeln einzuwirken. Dabei macht das letzte<br />

Zitat Luhmanns deutlich, daß Gewalt vor<br />

allem als .aktuelle Ausübung von physischem<br />

Zwang' erscheint. Demgegenüber definiert<br />

Heinrich Popitz Gewalt zwar als „Verletzungsmacht"<br />

(Popitz 1986: 68), differenziert diesen<br />

Begriff jedoch nochmals nach „Aktionen zur<br />

Minderung sozialer Teilhabe (gesellschaftlicher<br />

Integrität), zur materiellen Schädigung und zur<br />

körperlichen Verletzung" (Popitz 1986: 69). So<br />

gesehen, erweitert Popitz das Gewaltspektrum<br />

auch um nicht-physische Aktionsformen, ohne<br />

deshalb jedoch das Moment der Unfreiheit<br />

grundsätzlich in Frage zu stellen. Immerhin<br />

zählt dadurch aber selbst die .Minderung sozialer<br />

Teilhabe', also die Beschneidung von<br />

Inklusionschancen, zur Gewalt, was bedeuten<br />

würde, auch Exklusionseffekte wie Marginalisierung<br />

als eine Form von Gewalt zu behandeln<br />

(Hellmann 1997). Von hier aus wäre es<br />

aber nur noch ein kleiner Schritt zum Begriff<br />

der strukturellen Gewalt von Johan Galtung;<br />

einem Gewaltbegriff, der bei der Einschränkung<br />

von Freiheitsgraden nochmals zwischen<br />

Person und Struktur unterscheidet, je nachdem,<br />

ob sich das Erleben von Unfreiheit einer Person<br />

zurechnen läßt oder nicht (Galtung 1975).<br />

Vielleicht kann man vor diesem Hintergrund<br />

sogar sagen, daß Macht Inklusion voraussetzt,<br />

während Gewalt auf Exklusion hinausläuft.<br />

Denn während Macht das Recht zur Teilhabe<br />

grundsätzlich bejaht und zugesteht, ja der Chance<br />

zur Beteiligung sogar bedarf, um überhaupt<br />

Macht zu sein, bestreitet und annulliert Gewalt<br />

gerade diese Chance auf gleichberechtigte Beteiligung<br />

am Entscheidungsprozeß, unabhängig<br />

davon, ob dies rein physisch oder durch<br />

eine konkrete Person erfolgt. Wann immer es<br />

also zur Exklusion käme, hätten wir es demnach<br />

mit Gewalt zu tun, wobei wiederum Gewalt<br />

gegen Exklusionseffekte gewendet werden<br />

könnte, sofern Inklusionschancen zuvor

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