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Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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EDITORIAL<br />

Protest und Gewalt<br />

Paradigmen auf dem Prüf stand<br />

Die Themen Protest und Gewalt haben Konjunktur,<br />

Protest- und Gewaltphänomene sind<br />

Gegenstand einer Vielzahl sozialwissenschaftlicher<br />

Untersuchungen und werden zumeist<br />

auf bestimmte gesellschaftliche Teilkulturen<br />

und/oder Problemgruppen eingeschränkt untersucht,<br />

1<br />

an ihren Extremformen diskutiert 2<br />

oder als Protest- und Gewaltereignisse systematisch<br />

aufgelistet. 3<br />

Eine allgemeine Soziologie<br />

der Gewalt oder des Protests steht dagegen<br />

noch aus (Trotha 1997a: 9).<br />

Schaut man nur auf die Protestforschung, so<br />

behandelt diese ihren Erkenntnisgegenstand<br />

aufgrund der facettenreichen Formen, in denen<br />

Protest in Erscheinung tritt, vorwiegend<br />

interdisziplinär. So werden soziale <strong>Bewegungen</strong><br />

gleichermaßen als formale Organisationen<br />

und als kollektives Verhalten analysiert<br />

(vgl. McCarthy/Zald 1977), es geht nicht nur<br />

um ihre politische, sondern auch um ihre kulturelle<br />

Bedeutung (vgl. Melucci 1995), und sie<br />

sind ebenso Anlaß für (sozial-)psychologische<br />

wie soziologische Erkenntnisinteressen (vgl.<br />

McAdam/Snow 1997). Dabei spiegelt die Uneinheitlichkeit<br />

des Protestbegriffs die Vielschichtigkeit<br />

dieses Phänomens wider, auch<br />

wenn immer wieder der Versuch unternommen<br />

wird, die Einheit von Gegenstand, Begriff und<br />

Fach herzustellen (vgl. Rucht 1991).<br />

Ahnlich verhält es sich bei der sozialwissenschaftlichen<br />

Verwendung des Gewaltbegriffs.<br />

Auch hier gibt es eine interdisziplinär angelegte<br />

Gewaltforschung, die z.B. psychische<br />

und soziale Ursachen, verschiedene Formen<br />

und Folgen von Gewalt untersucht. So wird der<br />

Gewaltbegriff in seinen direkten, personellen,<br />

strukturellen und kulturellen Formen untersucht,<br />

es wird gefragt, ob damit eine angestrebte,<br />

unbeabsichtigte, direkte oder indirek­<br />

FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG, 11, HEFT 4, 1998<br />

te Schädigungsabsicht verbunden ist, und wie<br />

es sich mit latenten, potentiellen, physischen<br />

oder psychischen Schädigungsfolgen verhält.<br />

Wie mannigfaltig Protest und Gewalt sich auch<br />

darstellen mögen: Fest steht, daß sie kommunikative<br />

Akte sind, denen eine gewisse Expressivität<br />

und Adressierbarkeit (Sofsky 1996:<br />

11) sowie eine (partikulare) gesellschaftliche<br />

Zielsetzung zueigen ist, die von bestimmten<br />

Trägern initiiert und von unterschiedlichen<br />

Akteuren artikuliert wird. 4<br />

Zugleich stellen sie<br />

allgemein zugängliche Ressourcen dar, deren<br />

theoriegeleitete Erfassung aber - aufgrund ihrer<br />

Anlaßlosigkeit, Situationsbedingtheit und<br />

Prozeßhaftigkeit - nachhaltig schwerfällt (Trotha<br />

1997a: 18).<br />

Es ist somit von einer Mimikry von Protest und<br />

Gewalt auszugehen: unstete Formen des sozialen<br />

Handelns, die sich aus divergierenden<br />

Motivationen speisen, unterschiedlicher Mittel<br />

bedienen und in verschiedener Intensität<br />

nahezu allgegenwärtig sind. Protest und Gewalt<br />

werden damit zu multifaktoriellen Phänomenen<br />

auf allen gesellschaftlichen Ebenen; 5<br />

insofern scheint ihre je eigenständige Erforschung<br />

angemessen, da es der sozialen Wirklichkeit<br />

entspricht. Aber es gibt auch - und dies<br />

entspricht ebenfalls der gesellschaftlichen<br />

Realität - keinen Protest ohne jedes Gewaltpotential,<br />

und es gibt keine Gewalt ohne jedes<br />

Protestresiduum. Zumindest ist im Zusammenhang<br />

mit Protest das Auftreten von Gewalt<br />

nicht unwahrscheinlich, was nicht heißt, daß<br />

zwischen Protest und Gewalt eine notwendige<br />

Beziehung besteht. Aber wird protestiert, kann<br />

es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen.<br />

Umgekehrt läßt sich Gewalt häufig als ultima<br />

ratio verstehen, wenn andere Mittel, sich Gehör<br />

zu verschaffen, zuvor versagt haben. Es<br />

handelt sich somit um zwei voneinander weitgehend<br />

getrennte Bereiche des sozialen Lebens,<br />

die gleichwohl eine Schnittmenge sich

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