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Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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HAUPTBEITRÄGE<br />

der exemplarische Fall dafür, daß Gewalt zur<br />

konstitutiven Frage für Bewegung wird. Solche<br />

<strong>Bewegungen</strong> reproduzieren sich in einer<br />

Spirale der Gewalt, die Zeitspanne ist flexibel.<br />

Es kann sich um kurze Terrorismuswellen handeln<br />

oder um langlebige historische Konflikte.<br />

Was sie auszeichnet, ist, daß es sich um Formen<br />

von <strong>Bewegungen</strong> handelt, in denen Gewalt<br />

den Bestand einer Bewegung sichert. Die<br />

Erklärungen variieren. Die interessanteste lautet,<br />

daß sich soziale <strong>Bewegungen</strong> durch physische<br />

Gewalt vor ihrem Ende zu schützen suchen.<br />

10<br />

Es handelt sich also um <strong>Bewegungen</strong>,<br />

denen das mobilisierende Thema abhanden gekommen<br />

ist oder die sich historisch falsch situiert<br />

haben. Das Thema der Gewalt wäre damit<br />

bereits eingeengt und wegdefiniert: Gewalt<br />

ist die Eigenschaft von <strong>Bewegungen</strong>, die<br />

schon keine mehr sind, der Abgesang der Bewegung<br />

von der Bühne der Gesellschaft. Theoretisch<br />

ist damit auch das Gewaltthema neutralisiert:<br />

Es handelt sich um eine abweichende<br />

und/oder marginale Form kollektiver Mobilisierung.<br />

Dieser theoretischen Perspektive entspricht, das<br />

Verhältnis von Mobilisierung und Gegenmobilisierung<br />

auf den Gegensatz Bewegung versus<br />

Staat zu projizieren. Staatliche Gewalt ist<br />

dann die andere Seite der Gewaltmobilisierung<br />

sozialer <strong>Bewegungen</strong>." Historisch spricht einiges<br />

dafür, etwa der Fall der Französischen<br />

Revolution oder die staatliche Reaktion auf<br />

die Arbeiterbewegung. Der deutsche Herbst<br />

scheint schon eher ein Fall der Marginalisierung<br />

von physischer Gewalt als konstitutivem<br />

Bestandteil von sozialen <strong>Bewegungen</strong> zu sein. 12<br />

Die Einbindung sozialer <strong>Bewegungen</strong> in institutionalisierte<br />

(staatliche oder halbstaatliche)<br />

Formen der Konfliktlösung hat die Form physischer<br />

Gewaltausübung durch den Staat weiter<br />

reduziert. Staatliche und dem Monopol<br />

staatlicher Gewalt äquivalente Institutionen auf<br />

transnationaler Ebene sichern ein globales Sy­<br />

KLAUS EDER<br />

stem, in dem physische Gewalt eingegrenzt,<br />

regionalisiert und lokalisiert wird.<br />

Im Rücken zivilisierter und eingegrenzter physischer<br />

Gewalt entwickelt sich eine andere Gewalt,<br />

die sich nicht der Waffe des Schwerts,<br />

sondern des Wortes bedient. Mit der Einbindung<br />

von <strong>Bewegungen</strong> in staatliche Macht hat<br />

sich also die Frage der Gewalt strukturell (,in<br />

the long run') nicht erledigt. 13<br />

Gewalt hat sich<br />

- das ist die Ausgangsannahme für die folgenden<br />

Überlegungen - in die symbolischen Formen<br />

selbst verlagert. Der Staat ist hier nur<br />

mehr sekundärer Akteur. Die Verlagerung von<br />

physischer Gewalt auf symbolische Gewalt ist<br />

vor allem ein Effekt der Veränderung der Konfliktlinien,<br />

mit denen soziale <strong>Bewegungen</strong> zunehmend<br />

zu tun haben: weg von der Konfliktlinie<br />

,Bewegung gegen Staat' und hin zur Konfliktlinie<br />

Bewegung gegen Bewegung'. Gewalt<br />

kommt in dem Maße, wie Bewegungsissues<br />

mit Identitätseinklagen zu tun haben, als<br />

symbolische Gewalt zurück, als eine Gewalt,<br />

die ihren Gewaltcharakter dem beobachtenden<br />

Blick physischer Verletzung zu entziehen vermag;<br />

es ist eine Gewalt, die ihre physische<br />

Erscheinungsform in eine symbolische transformiert.<br />

Dies gelingt symbolischer Gewalt<br />

aber besonders gut bei jenen Formen kollektiver<br />

Mobilisierung und Gegenmobilisierung, in<br />

denen kollektive Identitäten thematisiert werden.<br />

Denn in dem Maße, wie soziale <strong>Bewegungen</strong><br />

kollektive Identität zum Thema machen,<br />

setzen sie Identität gegen Identität. <strong>Bewegungen</strong><br />

sind nicht mehr nur in ein Machtspiel<br />

mit dem Staat (oder dem Kapital) verstrickt,<br />

sondern vor allem in ein Machtspiel<br />

mit anderen <strong>Bewegungen</strong>, die konkurrierende<br />

Identitäten verteidigen. <strong>Bewegungen</strong> verwikkeln<br />

sich dabei in eine Spirale nicht-lösbarer,<br />

weil nicht verhandelbarer Konflikte. Wenn kollektive<br />

Identitäten miteinander konkurrieren,<br />

gibt es nichts mehr, was verteilt werden könnte.<br />

Es geht, in einem Wort, ,ums Ganze'.

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