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Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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PROTEST UND SY<strong>MB</strong>OLISCHE GEWALT<br />

2.3 Nationale Identitätsmobilisierung<br />

Die Mobilisierung von nationalen Identitäten<br />

gegen andere nationale Identitäten ist ein<br />

besonders aufschlußreicher historischer Fall:<br />

Bewegung und Staat werden identisch, was<br />

es erlaubt, die mit der Bewegung identischen<br />

(National-)Staaten gegeneinander zu setzen.<br />

Es ist jener Fall, bei dem kollektive Identität<br />

gleichermaßen das Konstitutionsprinzip sozialer<br />

<strong>Bewegungen</strong> wie das Feld gewaltförmiger<br />

Beziehungen zwischen nationalen<br />

Identitäten gewesen ist. 14<br />

Physische Gewalt<br />

(militärische Auseinandersetzungen zwischen<br />

Nationalstaaten) und symbolische Macht<br />

(kollektive Mobilisierung und Inszenierung<br />

nationaler Identität) waren also eng gekoppelt<br />

- symbolische Gewalt war dagegen<br />

(noch) kein funktionales Erfordernis eines<br />

Feldes sozialer Auseinandersetzungen zwischen<br />

Nationalstaaten. Doch die Logik der<br />

Mobilisierung kollektiver Identitäten zeigt<br />

sich bereits in diesem historisch besonderen<br />

Fall.<br />

Diese besondere Logik der Mobilisierung<br />

kollektiver Identitäten hängt mit ihrer Funktion<br />

der symbolischen Grenzziehung zusammen.<br />

Grenzziehung durch nationale Identitätskonstruktion<br />

sicherte Inklusion. Die damit<br />

verbundene Exklusion war solange kein<br />

Problem, als die Exkludierten die äquivalente<br />

Option hatten, eine eigene kollektive Identität<br />

zu konstruieren. Die ideale Situation der<br />

gleichen Anerkennung der je anderen kollektiven<br />

Identitäten gehörte zum Bestand der<br />

Ideen, die die Nationenbildung in der entstehenden<br />

Moderne in Europa begleiteten.<br />

Jedes Volk definiert sich als kollektive Einheit<br />

und realisiert Freiheit und Gleichheit<br />

im Inneren. Dieser Idealzustand ist - ohne<br />

daß dies der Mobilisierung nationaler Identitäten<br />

wirkungsvoll entgegengewirkt hätte<br />

- sozial gebrochen gewesen. Freiheit und<br />

33<br />

HAUPTBEITRÄGE<br />

Gleichheit sind regulative Ideen eines Systems<br />

sozialer Ungleichheit, ein Aspekt, den<br />

Marx im Blick hatte. Doch die Idee reichte<br />

nicht aus, um den Primat der Nation (euphemisiert<br />

als deren Souveränität) gegen die Anerkennung<br />

des anderen im Konfliktfall zu<br />

verhindern und damit die Außenbeziehungen<br />

der Nation zu entmoralisieren.<br />

Die Konstruktion eines Systems von Nationalstaaten<br />

in der europäischen Nachkriegsgesellschaft<br />

hat diese Problematik reguliert.<br />

Sie hat gleichermaßen den Klassenkonflikt<br />

institutionalisiert und die Beziehungen zwischen<br />

den Nationen (wenigstens in Europa)<br />

auf eine relativ friedliche Basis gestellt. Das<br />

internationale System der Zivilisierung zwischenstaatlicher<br />

Gewalt hat diese Identitätskämpfe,<br />

das Spiel von Mobilisierung und<br />

Gegenmobilisierung von nationalen Identitäten,<br />

institutionell eingebunden und damit<br />

regulierbar gemacht. Aus nationalen Identitätskämpfen<br />

wurden nationale Interessenkämpfe.<br />

Der Nationalstaat und das internationale<br />

Staatensystem haben diese Identitätskämpfe<br />

zumindest für einige Zeit zivilisieren<br />

können.<br />

Die Feststellung, daß sie zurückkommen,<br />

kann an Huntingtons zeitdiagnostischem Befund<br />

anknüpfen, wonach sich zentrale gesellschaftliche<br />

Konflikte von ideologischen<br />

und ökonomischen cleavages hin zu kulturellen<br />

Differenzen entlang ethnisch-religiöser<br />

Identitäten verlagern (Huntington 1993).<br />

Die gegenwärtig zu beobachtende Mobilisierung<br />

kultureller Differenz ist der Ort, an<br />

dem Identitätspolitik die Binnenlogik der<br />

neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong> verläßt und sich<br />

dem Zugriff internationaler zwischenstaatlicher<br />

Sicherheitssysteme entzieht. Identitätsmobilisierung<br />

und Gegenmobilisierung werden<br />

jenseits des Nationalstaats selbst zum<br />

Feld sozialer Auseinandersetzungen.

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