Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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HAUPTBEITRÄGE<br />
Handlungspotential über die Thematisierung<br />
des Gewalttopos im Sinne der Framing-Analyse<br />
dürfte zum empirischen Grenzfall sozialer<br />
<strong>Bewegungen</strong> gehören. Sie würden damit auf<br />
das Terrain ,revolutionärer', ,terroristischer'<br />
oder schlicht .krimineller' Akteure geraten -<br />
für das Konzept sozialer <strong>Bewegungen</strong> scheint<br />
programmatische Gewaltlosigkeit konstitutiv<br />
zu sein.<br />
Viertens: Diese Überlegungen bedeuten jedoch<br />
nicht, daß die Gewalt folgenlos für Fragen und<br />
Probleme der Mobilisierung sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />
ist. Das Gegenteil ist der Fall, wie sich<br />
insbesondere aus der Tatsache ergibt, daß das<br />
Konfliktgeschehen zwischen sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
und ihren Adressaten regelmäßig begleitet<br />
ist von wechselseitigen Gewaltvorwürfen.<br />
Mobilisierend für soziale <strong>Bewegungen</strong> ist<br />
Gewalt als erlittene, u.U. als abwehrende und<br />
als ,gerechte' Gewalt. Diese Formen und Erscheinungsweisen<br />
von Gewalt lassen sich rahmenanalytisch<br />
nur schwer fassen. Vielmehr enthüllen<br />
sie nach unserer Ansicht eher ein unterkomplexes<br />
Modell der Framing-Perspektive bezüglich<br />
der Beziehung von kollektivem Handeln<br />
und Gewalt. Diese Unterkomplexität besteht<br />
zum einen darin, daß der Framing-Ansatz<br />
die Entwicklung und das Auftreten der<br />
Gewalt zu handlungstheoretisch konzipiert, bis<br />
hin zur Unterschlagung der wesentlich interaktionistischen<br />
Genese der Gewalt. Zum anderen<br />
zeichnet die Framing-Perspektive einen<br />
kognitiven und intentionalen Überschuß aus.<br />
Fluchtpunkt und Modell brauchbarer Rahmen<br />
und erfolgreicher Rahmung sind kognitiv-ideologisch<br />
ausgearbeitete Systeme, die Personen<br />
zu kollektiven Akteuren und Aktivitäten bündeln,<br />
die die erforderlichen Rahmungen diagnostischen,<br />
prognostischen und motivationalen<br />
Zuschnitts ermöglichen und besorgen; so<br />
sieht etwa der Prototyp oder die Modell-Bewegung<br />
der Framing-Analyse aus. Stattdessen<br />
ist für die Analyse der Beziehung der einzel-<br />
REINHARD KREISSIVFRITZ SACK<br />
nen Akteure im Kontext kollektiver Gewalt und<br />
sozialer <strong>Bewegungen</strong> auf latente, latent gehaltene,<br />
ambivalente, situative und sonstwie gebrochene<br />
Intentionalitäten zurückzugreifen. Intentionalitäten,<br />
die sich auf gelebte Mentalitäten,<br />
spontane Gemeinschaftlichkeit, diffuse Gesellschaftsbilder<br />
und unartikulierte und ausgelebte<br />
Körperlichkeit statt auf explizite Ideologien<br />
stützen: Dieser Unterscheidung könnte auf<br />
der Akteursebene die zwischen politisch rechten<br />
und linken sozialen <strong>Bewegungen</strong> entsprechen.<br />
Für die meisten sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
mag außerdem gelten: Kognitive und programmatische<br />
Ablehnung von Gewalt koexistiert mit<br />
der Bereitschaft, sie zu akzeptieren und sie<br />
situativ einzusetzen.<br />
Fünftens: Eine letzte Anmerkung zum Framing-<br />
Konzept ist ethnomethodologischer Art: ,How<br />
to do framing?' Viele unserer Überlegungen<br />
und Befunde zeigen die enge Verzahnung von<br />
Gewaltdiskursen und ihren gesellschaftlichen<br />
Wirkungen. Master frames lassen sich nur bis<br />
zu einem gewissen Grad aus der Position des<br />
distanzierten Beobachters beschreiben und analysieren.<br />
Sie lassen sich nicht auf den Status<br />
abstrakter Deutungsmuster reduzieren, als solche<br />
identifizieren, vor allem lassen sie sich<br />
nicht als solche hantieren. Vielmehr entfalten<br />
sie ihre Wirkung auf performative Weise,<br />
gleichsam in ihrer Anwendung, als ,second<br />
code', dessen Wirksamkeit bekanntlich davon<br />
abhängt, daß der Code als solcher verborgen<br />
bleibt.<br />
Dieser Gesichtspunkt spielt insbesondere für<br />
die antagonistische Rahmung eine zentrale Rolle:<br />
Die demobilisierende Rahmung der Träger<br />
und der Aktivitäten sozialer <strong>Bewegungen</strong> mittels<br />
der Gewalt geschieht empirisch in der Regel<br />
nicht durch den gewollten Einsatz von Gewalt<br />
durch die sozialen <strong>Bewegungen</strong> selbst,<br />
sondern durch die erfolgreiche Zurechnungsaktivität<br />
seitens ihrer Adressaten.