Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4,1998<br />
Ekkart Zimmermann<br />
Ressourcenmobilisierung<br />
und Gewalt<br />
1 Der Ressourcenmobilisierungsansatz<br />
In den letzten zwanzig Jahren hat sich das<br />
Erklärungsmodell der Ressourcenmobilisierung<br />
zum dominanten Paradigma auf dem Gebiete<br />
sozialer <strong>Bewegungen</strong> entwickelt. Dabei sehen<br />
die Anhänger dieses Erklärungsmodells strukturelle<br />
Problemlagen sehr wohl als eine notwendige,<br />
wenngleich nicht hinreichende Voraussetzung<br />
für die Entstehung sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />
an. Im Unterschied zu Deprivationsansätzen<br />
wird jedoch daran festgehalten, daßgn'evances<br />
(auf deutsch etwa Unmut, Arger, Klagen)<br />
vergleichsweise konstant und nachhaltig<br />
sind, soziale <strong>Bewegungen</strong> aber eher selten auftreten.<br />
Auch können, wie die Vertreter des Ansatzes<br />
der Ressourcenmobilisierung richtig gesehen<br />
haben (McCarthy/Zald 1977), grievances<br />
manipuliert oder erfunden werden. Unstrittig<br />
bleibt jedoch die Annahme, daß strukturelle<br />
Belastungen zu Unzufriedenheit führen können,<br />
aus denen Beschwernisse, Unbehagen und<br />
Unmut resultieren können.<br />
Doch ist damit noch längst nicht das Entstehen<br />
einer Bewegung angedeutet, solange nicht<br />
die dafür notwendigen Ressourcen auf den Plan<br />
gerufen werden. Jenkins und Perrow sehen den<br />
entscheidenden Unterschied, „der Anlaß zu einem<br />
Protest [insurgency] gibt, in dem Ausmaß,<br />
wie nichtorganisierten, aber benachteiligten<br />
Gruppen soziale Ressourcen zur Verfügung<br />
stehen, so daß sie eine organisierte For<br />
HAUPTBEITRÄGE<br />
derung nach Wandel äußern können" (Jenkins/<br />
Perrow 1977: 250; sämtl. Übers, v. Verf.). Dabei<br />
werden Ressourcen einer bedrängten Gruppe<br />
nicht nur notwendig, sondern zumeist auch<br />
von außen zur Verfügung gestellt. Zu diesen<br />
Ressourcen gehören Geld, Personal, Arbeit,<br />
Fachwissen, Legitimität und andere Dimensionen<br />
wie etwa moralische Reserven (z.B. Erinnerungen,<br />
Mythen, Opfer) einer sozialen Bewegung<br />
und generell Informiertheit.<br />
Entscheidend bleiben zwei Annahmen aus der<br />
Theorie der Ressourcenmobilisierung: erstens,<br />
daß bei einem Verständnis sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />
Organisationsmomente wichtiger sind als<br />
grievances; und zweitens, daß die Mobilisierung<br />
bestimmter Ressourcen den Verlauf und<br />
Charakter spezieller Organisationen innerhalb<br />
breiter sozialer <strong>Bewegungen</strong> bestimmt. Bei den<br />
Arten verschiedener Ressourcen ist auch nach<br />
materiellen [tangible] Größen wie Geld, Personen,<br />
Räumlichkeiten, Netzwerken, Zeit und<br />
Möglichkeiten der Kommunikation und eher<br />
weniger konkreten wie menschlichen Werten<br />
(z.B. ideologischer Bereitschaft) unterschieden<br />
worden, die die zentrale Basis für soziale <strong>Bewegungen</strong><br />
darstellen (Freeman 1979: 170ff).<br />
Ungeklärt ist dabei, wieweit einige dieser Ressourcen<br />
(etwa ideologische Bereitschaft) nicht<br />
durch andere (etwa mehr Mitglieder einer Bewegung)<br />
wettgemacht werden können (also<br />
notwendig sind), oder ob alle Ressourcen zumeist<br />
in einer additiven bzw. substitutiven Beziehung<br />
zueinander stehen.