Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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LITERATUR<br />
generelle Faktoren für rechtsextreme Orientierungen.<br />
Die zeigen sich bei Mädchen wie bei<br />
Jungen, bei Gymnasiasten wie bei Hauptschülern.<br />
Und auch die als rechtsextrem etikettierten<br />
Skinheads und Hooligans zeigen kaum ausgeprägte<br />
Feindbilder, sondern, und das führt Frindte<br />
auf das schlechte Image dieser Gruppen zurück,<br />
einen eher diffusen Aktionismus. Zur Aufwertung<br />
der eigenen Gruppe instrumentalisieren<br />
sie rechtsextremes Verhalten. In aller Deutlichkeit<br />
weist der Autor darauf hin, daß Rechtsextremismus<br />
kein Jugendproblem, sondern ein<br />
gesellschaftliches Problem ist, das auch wegen<br />
seiner vielschichtigen Täter-Typen eine angemessene<br />
reflektierte sozialwissenschaftliche<br />
Forschung erfordert.<br />
Wie monokausal Phänomen-Analysen sein können,<br />
zeigt der Beitrag von Gunter A. Pilz über<br />
Gewalt im Umfeld von Fußballspielen. Ökonomisierungs-,<br />
Individualisierungs- und Rationalisierungsprozesse<br />
als Eckpfeiler der Moderne<br />
und die Kommerzialisierung und Professionalisierung<br />
des Sports, die Fans und Sportler auseinanderbringt,<br />
macht Pilz für Hooliganismus<br />
verantwortlich. Das Phänomen sei ein Spiegel<br />
des Zeitgeistes, in dem Wettbewerb, Exklusivität,<br />
Kampfdisziplin, Coolness, Flexibilität,<br />
Mobilität und Risikofreude überwiegen. Hooligans<br />
verkörperten diese Eigenschaften und seien<br />
damit als modernistische Avantgarde eines<br />
neuen Identitätstypus zu verstehen. Dabei scheint<br />
Pilz zu vergessen, daß er mit einer derart starken<br />
These seinen eigenen empirischen Befunden<br />
widerspricht, nach denen das Gros der Hooligans<br />
im Alltag ein bürgerliches Leben führt.<br />
Von Hooliganismus als „Uberlebensstrategie"<br />
in einer von emotionaler Kälte, Egoismus und<br />
Individualisierungsschüben gekennzeichneten<br />
Gesellschaft kann bei dieser Klientel kaum die<br />
Rede sein. Daß die sich beinahe ausschließlich<br />
aus Männern zusammensetzt, und darüber hinaus<br />
dadurch charakterisiert ist, Gewalt um ihrer<br />
selbst Willen auszuüben, wie es Bill Buford in<br />
seiner Milieureportage „Geil auf Gewalt" an<br />
FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4, 1998<br />
schaulich beschrieben hat, wird von Pilz nicht<br />
thematisiert. So bleibt der Autor mit seinen<br />
Ausführungen auf der makrosoziologischen<br />
Ebene und liefert mit dem Modernisierungstheorem<br />
eine wenig überzeugende Erklärung<br />
dafür, warum eine, gemessen an der Gesamtbevölkerung,<br />
kleine (geschlechtsspezifische)<br />
Gruppe diese Form der Gewalt auslebt.<br />
Gänzlich plakativ argumentiert Hans-Dieter<br />
Schwind über Möglichkeiten staatlicher Präventionen<br />
und Interventionen. Wertewandel und<br />
Werteverfall und soziale Desintegration macht<br />
er für die Entstehung von Gewalt verantwortlich.<br />
Ohne eine einzige empirische Studie zu<br />
erwähnen, führt er Jugendgewalt auf familiäre<br />
Faktoren, wie eine „Single-Ideologie", die Berufstätigkeit<br />
beider Elternteile, materielle Unterversorgung<br />
oder die Alleinerziehung, auf<br />
schulische Faktoren sowie, bedingt durch das<br />
„liberale Haftrecht" und mangelnde staatliche<br />
Kontrolle, auf eine „Gewalttransferproblematik"<br />
zurück. Dem läßt der hochdotierte Jurist,<br />
der von 1987 bis 1990 Vorsitzender der (Anti)<br />
Gewaltkommission der Bundesregierung war,<br />
einen Auszug der Leitlinien eben dieser Kommission<br />
folgen. Seine Ausführungen zeigen<br />
deutlich ein konservatives Weltbild, in dem simple<br />
Erklärungsmuster für Gewalt in der Familie,<br />
in der Schule und auf den Straßen angeboten<br />
werden.<br />
Insofern fällt Schwinds Zusammenstellung im<br />
Vergleich zu den meisten anderen in diesem<br />
Band zusammengetragenen, die gerade wegen<br />
ihrer hohen Reflektions- und Forschungsniveaus<br />
wichtige Beiträge zum aktuellen Diskurs über<br />
Gewalt leisten, mit seinen rigiden, schlagzeilenartigen<br />
Thesen aus dem Rahmen.<br />
Gabriele Rohmann, Berlin.<br />
Hans Werner Bierhoff/Ulrich Wagner (Hg.):<br />
Aggression und Gewalt. Phänomene, Ursachen<br />
und Interventionen. Stuttgart et al.: Kohlhammer<br />
1998.