25.10.2013 Aufrufe

Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

120<br />

LITERATUR<br />

generelle Faktoren für rechtsextreme Orientierungen.<br />

Die zeigen sich bei Mädchen wie bei<br />

Jungen, bei Gymnasiasten wie bei Hauptschülern.<br />

Und auch die als rechtsextrem etikettierten<br />

Skinheads und Hooligans zeigen kaum ausgeprägte<br />

Feindbilder, sondern, und das führt Frindte<br />

auf das schlechte Image dieser Gruppen zurück,<br />

einen eher diffusen Aktionismus. Zur Aufwertung<br />

der eigenen Gruppe instrumentalisieren<br />

sie rechtsextremes Verhalten. In aller Deutlichkeit<br />

weist der Autor darauf hin, daß Rechtsextremismus<br />

kein Jugendproblem, sondern ein<br />

gesellschaftliches Problem ist, das auch wegen<br />

seiner vielschichtigen Täter-Typen eine angemessene<br />

reflektierte sozialwissenschaftliche<br />

Forschung erfordert.<br />

Wie monokausal Phänomen-Analysen sein können,<br />

zeigt der Beitrag von Gunter A. Pilz über<br />

Gewalt im Umfeld von Fußballspielen. Ökonomisierungs-,<br />

Individualisierungs- und Rationalisierungsprozesse<br />

als Eckpfeiler der Moderne<br />

und die Kommerzialisierung und Professionalisierung<br />

des Sports, die Fans und Sportler auseinanderbringt,<br />

macht Pilz für Hooliganismus<br />

verantwortlich. Das Phänomen sei ein Spiegel<br />

des Zeitgeistes, in dem Wettbewerb, Exklusivität,<br />

Kampfdisziplin, Coolness, Flexibilität,<br />

Mobilität und Risikofreude überwiegen. Hooligans<br />

verkörperten diese Eigenschaften und seien<br />

damit als modernistische Avantgarde eines<br />

neuen Identitätstypus zu verstehen. Dabei scheint<br />

Pilz zu vergessen, daß er mit einer derart starken<br />

These seinen eigenen empirischen Befunden<br />

widerspricht, nach denen das Gros der Hooligans<br />

im Alltag ein bürgerliches Leben führt.<br />

Von Hooliganismus als „Uberlebensstrategie"<br />

in einer von emotionaler Kälte, Egoismus und<br />

Individualisierungsschüben gekennzeichneten<br />

Gesellschaft kann bei dieser Klientel kaum die<br />

Rede sein. Daß die sich beinahe ausschließlich<br />

aus Männern zusammensetzt, und darüber hinaus<br />

dadurch charakterisiert ist, Gewalt um ihrer<br />

selbst Willen auszuüben, wie es Bill Buford in<br />

seiner Milieureportage „Geil auf Gewalt" an­<br />

FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4, 1998<br />

schaulich beschrieben hat, wird von Pilz nicht<br />

thematisiert. So bleibt der Autor mit seinen<br />

Ausführungen auf der makrosoziologischen<br />

Ebene und liefert mit dem Modernisierungstheorem<br />

eine wenig überzeugende Erklärung<br />

dafür, warum eine, gemessen an der Gesamtbevölkerung,<br />

kleine (geschlechtsspezifische)<br />

Gruppe diese Form der Gewalt auslebt.<br />

Gänzlich plakativ argumentiert Hans-Dieter<br />

Schwind über Möglichkeiten staatlicher Präventionen<br />

und Interventionen. Wertewandel und<br />

Werteverfall und soziale Desintegration macht<br />

er für die Entstehung von Gewalt verantwortlich.<br />

Ohne eine einzige empirische Studie zu<br />

erwähnen, führt er Jugendgewalt auf familiäre<br />

Faktoren, wie eine „Single-Ideologie", die Berufstätigkeit<br />

beider Elternteile, materielle Unterversorgung<br />

oder die Alleinerziehung, auf<br />

schulische Faktoren sowie, bedingt durch das<br />

„liberale Haftrecht" und mangelnde staatliche<br />

Kontrolle, auf eine „Gewalttransferproblematik"<br />

zurück. Dem läßt der hochdotierte Jurist,<br />

der von 1987 bis 1990 Vorsitzender der (Anti)<br />

Gewaltkommission der Bundesregierung war,<br />

einen Auszug der Leitlinien eben dieser Kommission<br />

folgen. Seine Ausführungen zeigen<br />

deutlich ein konservatives Weltbild, in dem simple<br />

Erklärungsmuster für Gewalt in der Familie,<br />

in der Schule und auf den Straßen angeboten<br />

werden.<br />

Insofern fällt Schwinds Zusammenstellung im<br />

Vergleich zu den meisten anderen in diesem<br />

Band zusammengetragenen, die gerade wegen<br />

ihrer hohen Reflektions- und Forschungsniveaus<br />

wichtige Beiträge zum aktuellen Diskurs über<br />

Gewalt leisten, mit seinen rigiden, schlagzeilenartigen<br />

Thesen aus dem Rahmen.<br />

Gabriele Rohmann, Berlin.<br />

Hans Werner Bierhoff/Ulrich Wagner (Hg.):<br />

Aggression und Gewalt. Phänomene, Ursachen<br />

und Interventionen. Stuttgart et al.: Kohlhammer<br />

1998.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!