Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4,1998<br />
daß jahrelang - ob es heute noch so ist, weiß ich<br />
nicht - an der Spitze dieser Aufnahmeländer<br />
von Flüchtlingen keines der genannten europäischen<br />
Ländern stand - auch nicht die USA,<br />
Kanada oder Australien -, sondern der Sudan,<br />
sicherlich nicht reicher als Deutschland, Osterreich<br />
oder die Schweiz. Neben den Flüchtlingen<br />
politischer Verfolgung werden für das 21. Jahrhundert<br />
weitere Flüchtlingsströme vorbereitet:<br />
z.B. jene vor ökologischer Verheerung ihres<br />
Herkunftslandes. Ich klage die an, die die Verletzung<br />
der Menschenrechte, zuvörderst jene<br />
auf Würde, Leben und körperliche Unversehrheit<br />
durch das aktive Betreiben großflächiger<br />
ökologischer Verheerungen vorbereiten.<br />
Schon aus diesem Grunde ist, von allen normativen<br />
Aspekten abgesehen, die deutsche Antiflüchtlingspolitik<br />
außerordentlich kurzsichtig.<br />
Tschernobyl hat die Dinge gezeigt, die da kommen<br />
könnten: Ein atomarer Unfall, und die<br />
betroffene Bevölkerung hat nur noch die Wahl<br />
zu emigrieren oder im verstrahlten Gebiet zurückzubleiben<br />
und dort auf den Tod zu warten.<br />
Mit anderen Worten: Sollte in Biblis etwas Umfassenderes<br />
geschehen, darf sich halb Deutschland<br />
auf die Flucht machen. Sollte sich im<br />
Schrottreaktor von Bohunice, der in den nächsten<br />
Wochen ans Netz gehen soll, ein größerer<br />
Unfall ereignen, dürfen die vereinigten Bevölkerungen<br />
der Slowakei, von Ungarn, Osterreich,<br />
Tschechien und Bayern, bei passender<br />
Windlage auch noch von Polen, Sachsen, Brandenburg,<br />
sich auf die langdauerende Wanderschaft<br />
machen. Mit Spannung ist die Geltung<br />
der Menschenrechte in solchen Krisenfällen zu<br />
erwarten: Wer, wann und von wem in die Strahlen<br />
zurückgeschickt werden wird - und wer,<br />
wann und von wem nicht. Der atomare Großunfall<br />
ist indes nicht der einzig denkbare Anlaß<br />
eines ökologischen Krisenszenarios, welches<br />
zu Migrationsbewegungen Anlaß geben könnte.<br />
Lange ist es her, beinahe schon 30 Jahre, daß die<br />
Untersuchung über die .Grenzen des Wachs<br />
PULSSCHLAG<br />
tums' durch das Ehepaar Meadows und in Konkretisierung<br />
durch die Untersuchung von Mesarovic<br />
und Pester erfolgte: Nein, der Planet Erde<br />
wird nicht auf einmal zusammenbrechen - in<br />
manchen Regionen wird es Jahrzehnte länger<br />
dauern als in anderen. Was diese möglichen<br />
Teilzusammenbrüche von Erdregionen an Wanderungsbewegungen,<br />
Bürgerkriegen und Menschenrechtsverletzungen<br />
nach sich ziehen werden,<br />
können sich phantasievolle Menschen leicht<br />
ausmalen.<br />
Presse und Medien<br />
Ich klage die an, die aus der Presse- und Medienfreiheit<br />
eine Farce gemacht haben. Zur Erinnerung<br />
für die jüngeren Zuhörenden, die diesen<br />
Satz vielleicht noch nicht gehört haben, wiederhole<br />
ich einen Satz des konservativen Publizisten<br />
Paul Sethe aus den 50er Jahren, der Blütezeit<br />
des Adenauer-Regimes: Pressefreiheit sei<br />
die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung<br />
zu verbreiten. Zwischenzeitlich dürfte die<br />
Zah 1 dieser reichen Leute aufgrund des Konzentrationsprozesses<br />
noch abgenommen haben.<br />
Ebenfalls zur Erinnerung: Eine der wenigen<br />
Forderungen, auf die sich die Außerparlamentarische<br />
Opposition in den Jahren nach 1967<br />
einigen hatte können, war ,Enteignet Springer!'<br />
Und dies war keine deutsche Besonderheit: Seitens<br />
der Agierenden des französischen Mai 1968<br />
gab es einen ganzen Katalog von Vorschlägen<br />
zur Demokratisierung und Dezentralisierung<br />
der französischen Medien. Gewiß, der Form<br />
nach besteht Pressefreiheit noch, und das ist<br />
besser als nichts. Keiner Person kann verboten<br />
werden, ein Fanzine in einer Auflage von 200<br />
Stück herauszugeben und von Zeit zu Zeit dafür<br />
Spenden zu erfragen - ähnliches gilt für Videofilme,<br />
Altemativradios und mit Einschränkungen<br />
für Web-Seiten im Internet. Damit hat es<br />
sich aber schon.<br />
Die Presse- und Medienlandschaft ist gekennzeichnet<br />
durch Ökonomisierung, Privatisierung,<br />
printmediale Quasi-Monopolisierung, Orientie-