Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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106<br />
PULSSCHLAG<br />
Beibehaltung ihrer Lobbyfunktion in Entscheidungsgremien<br />
und professionalisierte PR-Arbeit<br />
zur Aufrechterhaltung ihres Spendenklientels<br />
zwingen die NGOs zu einer Abkehr von<br />
weitreichenden Forderungen gegenüber der<br />
Politik und von schwer verdaulichen Wahrheiten<br />
gegenüber dem Publikum. Dabei müssen<br />
die medial inszenierten Profile zur Schaffung<br />
einer schöneren Welt nicht mehrheitsfähig sein,<br />
wie bei erfolgreichen Parteien. Es reicht, wenn<br />
durch öffentliche und private Finanzierung die<br />
Kosten ihrer Aktivitäten getragen werden.<br />
NGOs existieren unter diesem Blickwinkel losgelöst<br />
von jeglicher Interessenvermittlung und<br />
scheinen lediglich auf die Selbsterhaltung ihrer<br />
Organisation fixiert.<br />
Bewegungslose Zukunft<br />
Das große Echo der NGOs in der Öffentlichkeit<br />
hat fatale Auswirkungen auf andere intermediäre<br />
Akteure, wie das Beispiel Umweltschutz<br />
verdeutlicht: Während sich die Ökologiebewegung<br />
seit Ende der 80er Jahre in der<br />
Agonie befindet, die bewegungsnächste Umweltschutzorganisation,<br />
der BBU, seinen Höhepunkt<br />
bereits 1981 erreichte (und danach<br />
kontinuierlich an Bedeutung verlor), und auch<br />
bei den verbandsähnlich organisierten Institutionen<br />
NABU oder BUND die Mitgliederzahlen<br />
seit den 90er Jahren nahezu stagnieren,<br />
verzeichnet lediglich Greenpeace steigende<br />
Einnahmen und Mitgliederzahlen.<br />
Natürlich ist Greenpeace als Prototyp einer zukunftsweisenden<br />
Organisationsform nicht vorzuwerfen,<br />
daß sie sich in ihren Anfangsjahren<br />
auf der Ökologiewelle nach vorne bewegen<br />
konnte. Es bleibt indes fraglich, inwieweit neue<br />
Gruppierungen und soziale <strong>Bewegungen</strong> entstehen<br />
können, wenn bereits funktionierende<br />
Großorganisationen dieses Themenfeld - und<br />
Umweltinteressen stehen hier nur exemplarisch<br />
- erfolgreich bewirtschaften. Wenn gesellschaftliche<br />
Problemfelder nur noch nach<br />
FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4,1998<br />
der Maßgabe der Marktlogik thematisierbar<br />
sind, d.h. niedrigschwellige Aktivierung der<br />
Sympathisanten und Betonung der Wichtigkeit<br />
des Anliegens bei gleichzeitiger Austauschbarkeit<br />
der Inhalte, so können soziale <strong>Bewegungen</strong><br />
mit ihrem Selbstverständnis einer „Politisierung<br />
des Alltags" (Kliment 1994: 37) diesen<br />
Trends nicht folgen.<br />
Zu hoffen bleibt, daß der Markt der professionalisiert<br />
präsentierten Interessen einen konjunkturellen<br />
Einbruch erleidet. Denn der ursprünglich<br />
intendierte Themen- und Forderungskatalog<br />
der NGOs übersteigt in der Regel die Zielsetzung<br />
kurzfristiger Vorteilsverschaffung und<br />
impliziert immer Forderungen der Demokratisierung<br />
von politischen Entscheidungsabläufen.<br />
Eine grundsätzliche Reorientierung an diesen<br />
Zielen, eine gemäßigte Medienpolitik, eine<br />
basisnahe Arbeitsstruktur und eine realistische<br />
Einschätzung ihrer Einflußmöglichkeiten könnten<br />
eine langfristige Stabilität der NGOs begründen.<br />
Ansonsten steht ihnen eine unsichere<br />
Zukunft bevor.<br />
Frank Schaefer, Köln.<br />
Anmerkungen<br />
1<br />
Die Schätzungen über die Zahl der NGOs<br />
weltweit reichen von 25.000 (Messner 1996:<br />
34) bis zu 100.000 allein im Umweltbereich<br />
(Wapner 1996: 2) mit mehr als zehn Millionen<br />
Mitgliedern (Weizsäcker 1994: 71).<br />
2<br />
Vgl. hierzu das Forschungsjoumal NSB 4/<br />
1997 zur Mediation.<br />
3<br />
Brunnengräber (1997) bezeichnet diese Rolle<br />
der NGOs als Advokaten, die durch moralischethische<br />
Begründungen Einfluß gewinnen wollen.<br />
4<br />
So wurden bei der UN-Konferenz über Umwelt<br />
und Entwicklung in Rio, wie auch bei<br />
den Nachfolgekonferenzen, sicherheitspolitische<br />
und militärische Aspekte ausgeklammert<br />
(Bächler 1993: 7).