Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4, 1998 BYJJES<br />
Gefängnissen nutzbar, oder kann sie nicht auch<br />
Ausgangspunkt für grundlegende soziale Reformen<br />
sein, wie Abram de Swaan für den<br />
Ubergang von der lokalen zur nationalen Sozialpolitik<br />
geltend gemacht hat? Gegenwärtig,<br />
so der Eindruck in der Bundesrepublik, dient<br />
die Politik mit der Angst allerdings deutlich<br />
der Legitimation repressiver Praktiken im Umgang<br />
mit der Armutsbevölkerung. Sie erlaubt<br />
Schuldzuweisungen an die Betroffenen, Entsolidarisierung<br />
und die Beschneidung ihrer Bürgerrechte.<br />
In der AG ,Vom Welfare zum Workfare State'<br />
wurden ähnliche Tendenzen für einen Kernbereich<br />
der Sozialpolitik identifiziert. Auf den<br />
ersten Blick scheint es paradox, daß die Gewährung<br />
von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zunehmend<br />
an verschiedene Formen des Arbeitszwangs<br />
(gemeinnützige Arbeit, Hilfe zur Arbeit<br />
etc.) geknüpft wird, fehlt es doch gerade<br />
an regulären Arbeitsplätzen. Arbeitslosigkeit ist<br />
- zumal in den neuen Bundesländern - zentrale<br />
Armutsursache. Doch die Politik des Arbeitszwangs<br />
erweist sich durchaus als funktional:<br />
Sie schreckt Anspruchsberechtigte ab und<br />
spart damit Kosten; sie trägt zur Etablierung<br />
eines Billiglohnsektors bei; und sie betreibt<br />
,blaming the victim', indem sie die angeblich<br />
fehlende Arbeitsbereitschaft der einzelnen in<br />
den Mittelpunkt rückt. Workfare ist daher nicht<br />
zufällig zu einer in den angelsächsischen Ländern<br />
seit Jahrzehnten erprobten, international<br />
propagierten sozialpolitischen Wunderwaffe<br />
avanciert, die auch in der Bundesrepublik die<br />
Orientierung an sozialen Bürgerrechten abzulösen<br />
scheint. Daß workfare keine sozial integrierende<br />
Antwort auf die Ungleichheitsdynamik<br />
globalisierter Standortkonkurrenzen anzubieten<br />
hat, wird in dem Anwachsen einer sichtbaren<br />
Armutsbevölkerung in den Städten deutlich.<br />
Ihre sicherheitspolitische und polizeiliche Verwaltung<br />
und Disziplinierung war Gegenstand<br />
der Arbeitsgruppe ,Räumliche Ausgrenzungen'.<br />
PULSSCHLAG<br />
Wo die Vision sozialstaatlicher Integration aufgegeben<br />
wurde, bleibt nur räumliche Separierung<br />
und Hierarchisierung. Kommunale Ordnungs-<br />
und Sicherheitspolitik hat einen enormen<br />
Aufschwung erlebt. Modelle werden weltweit<br />
gehandelt: Singapur und das New York<br />
der ,Zero Tolerance' sind Marktführer. Kaum<br />
eine größere Stadt, in der es nicht zu heftigen<br />
Kontroversen um repressive Gefahrenabwehrverordnungen<br />
gekommen ist. Am Beispiel des<br />
politischen Umgangs mit den Wagenburgen läßt<br />
sich zeigen, wie tief die Angst der Bürger um<br />
ihre längst brüchig gewordene Normalität sitzt.<br />
Wenn in Köln jüngst ein Treffen von ,Grufties'<br />
vor dem Dom mit dem Hinweis auf die<br />
,Würde des Platzes' verboten wurde, zeigt sich,<br />
wie weit wir auf dem Wege ins Mittelalter<br />
vorangeschritten sind. Wie sehr Armutsbekämpfung<br />
als Kampf gegen die Armen praktiziert<br />
wird, läßt sich auch am Beispiel USA<br />
lernen. Dort hat längst der Übergang vom helfenden<br />
zum strafenden Staat stattgefunden, und<br />
der ,prison industrial complex' hat spektakuläre<br />
Wachstumsraten vorzuweisen.<br />
Ziel der Arbeitsgruppe .Ausgrenzen und Einsperren<br />
- Zur Verknastung der Gesellschaft'<br />
war es, diese Tendenzen für die Bundesrepublik<br />
zu untersuchen und deren enorme soziale<br />
und bürgerrechtliche Kosten kenntlich zu machen.<br />
Einsperren, lautet der politischen Dummheit<br />
erster und letzter Schluß. Umso notwendiger<br />
und dringlicher war die Frage nach den<br />
Alternativen gesellschaftlicher Konfliktbearbeitung:<br />
Wie können wir uns erfolgreich für die<br />
Abschaffung von Gefängnissen einsetzen und<br />
gleichzeitig berechtigten Sicherheitswünschen<br />
Rechnung tragen? Daß ,Asylsuchende, Flüchtlinge<br />
und Ausländerinnen' zu einer Legitimationsressource<br />
und einem Experimentierfeld für<br />
die repressive Verkürzung von Bürger- und<br />
Menschenrechten geworden sind, gab einer<br />
weiteren Arbeitsgruppe ihren Titel. Es gehört<br />
zur ,Banalität des Bösen', daß mit sozialer Ungleichheit<br />
und Abstiegsängsten auch der Be-