Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4, 1998 illB3l<br />
EDITORIAL<br />
Bevölkerung mit der Staatsgewalt? Neigt der<br />
Staat eher zu Eskalations- oder Deeskalationstrategien?<br />
Was tut die Polizei?<br />
Im ersten Beitrag geht Kai-Uwe Hellmann der<br />
Frage nach, inwieweit dem Verhältnis von Protest<br />
und Gewalt spezifische sozialstrukturelle<br />
Bedingungen zugrunde liegen, die plausibel<br />
machen können, warum es überhaupt zu Protest<br />
kommt, der unter bestimmten Umständen<br />
in Gewalt umschlägt. Dazu wird in einem ersten<br />
Schritt der Structural Strains-Ansatz in<br />
groben Zügen skizziert, um im Anschluß an die<br />
Unterscheidung von Macht und Gewalt aufzuzeigen,<br />
in welcher Weise Gesellschaftsstruktur<br />
und Gewalt zusammenhängen könnten. Als<br />
Ergebnis bleibt festzuhalten, daß nur eine mehrdimensionale<br />
Betrachtungsweise dem Verhältnis<br />
von Protest und Gewalt gerecht zu werden<br />
vermag.<br />
Klaus Eder wendet sich im seinem Beitrag der<br />
Frage zu, inwiefern die Mobilisierung kollektiver<br />
Identitäten mit symbolischen Macht- und<br />
Gewaltverhältnissen zu tun hat. Dabei verbindet<br />
Eder die Idee der symbolischen Gewalt, die<br />
man in Anlehnung an Parsons als Blockierung<br />
von Kommunikationschancen verstehen könnte,<br />
mit Prozessen symbolischer Exklusion, bei<br />
denen Grenzziehung zu Ausgrenzung in Fragen<br />
der Zugehörigkeit, Anerkennung und kollektiver<br />
Identitätsbildung führt. Im Zusammenhang<br />
damit äußert Eder auch die Vermutung,<br />
daß physische Gewalt zunehmend durch symbolische<br />
Gewalt ersetzt wird, weil die Relevanz<br />
von Identitätspolitik, wie sie etwa in ethnischen<br />
Konflikten zum Ausdruckkommt, deutlich<br />
an Bedeutung zugenommen hat.<br />
Nach einer ausführlicheren Rekonstruktion der<br />
Geschichte und Gestalt des Framing-Ansatzes<br />
und einer kurzen Rekapitulation der Gewaltforschung<br />
der letzten Jahrzehnte spielen Reinhard<br />
Kreissl und Fritz Sack verschiedene<br />
Szenarien unter der Fragestellung durch, inwiefern<br />
das Gewaltphänomen unter Framing-<br />
Aspekten betrachtet werden kann; was ebenso<br />
die Sichtweise der Sozialforschung wie die der<br />
Massenmedien betrifft. Nicht zuletzt kommt<br />
es zu einer durchaus kritischen Diskussion des<br />
Mythos des Gewaltmonopols, sofern von ihrer<br />
pazifizierenden Wirkung als der Kernfunktion<br />
des modernen Staates die Rede ist. Die Autoren<br />
schließen mit einigen methodologischen Einwänden<br />
gegen den Framing-Ansatz, gerade<br />
wenn es darum geht, das Verhältnis von Protest<br />
und Gewalt unter Framing-Aspekten zu verstehen.<br />
Ekkart Zimmermann widmet sich in seiner<br />
Arbeit dem Zusammenhang von Ressourcenmobilisierung<br />
und Gewalt. Dabei konzentriert<br />
sich Zimmermann auf eine sehr kundige Diskussion<br />
der Stärken und Schwächen des Ressourcenmobilisierungsansatzes,<br />
sowohl was<br />
die Vorgängertheorie der Relativen Deprivation<br />
als auch nachfolgende Erklärungskonzepte<br />
wie Political Opportunity Structures betrifft.<br />
Im Zuge dieser grundsätzlich zustimmenden,<br />
wenngleich nicht unkritischen Auseinandersetzung<br />
mit dem Ressourcenmobilisierungsansatz<br />
kommt Zimmermann dann auch auf den<br />
Gewaltaspekt zu sprechen und thematisiert hier<br />
neben eigenen empirischen Ergebnissen zur<br />
Protest- und Gewaltbereitschaft der 90er Jahre<br />
in Ost- wie Westdeutschland vor allem die<br />
Rolle des Staates bei der Eskalation der Gewalt.<br />
Im letzten Beitrag wendet Martin Winter den<br />
Political Opportunity-Ansatz auf den Zusammenhang<br />
von Protest und Gewalt an. Obwohl<br />
in anderen Ansätzen der Bewegungsforschung<br />
die stärkere Berücksichtigung von Handlungschancen<br />
und -ressourcen der Konfliktbeteiligten<br />
gefordert wird, ist die Erforschung des<br />
Polizeiapparats als einer der zentralen Gegenspieler<br />
sozialer <strong>Bewegungen</strong> bislang weitge-