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FORSCHUNGSJOURNAL NSB, JG. 11, HEFT 4, 1998 ^^«31<br />

zwischenzeitlich die Zehn-Millionen-Grenze<br />

überschritten. Die Appelle selbst der Kirchen,<br />

der Gewerkschaften und der Wohlfahrtsverbände<br />

sind ungehört verhallt. Dies kann nicht dadurch<br />

entschuldigt werden, daß die Armutsbevölkerung<br />

in anderen Ländern der Welt noch<br />

umfangreicher gemacht worden ist. Wie denn<br />

überhaupt das gegenseitige Ausspielen von Armen<br />

hier und anderswo zu den übelsten Unsitten<br />

affirmativer Haltung gehört. Ich klage die<br />

an, die am Zustandekommen dieser Armutsbevölkerung<br />

beteiligt waren und sind. Und ich<br />

klage die an - wenngleich erst in zweiter Linie,<br />

gleichsam subsidiär -, die bei diesem Anstieg<br />

der Armutsbevölkerung allzu lange weggeschaut<br />

haben.<br />

Ich klage insbesondere die an, die mit gekonnter<br />

Rückhand den Armen selbst die Schuld geben,<br />

der Armutsbevölkerung anheimgefallen zu sein:<br />

so, als ob sich in manchen Regionen in den<br />

vergangenen Jahren die unterstellte Arbeitsunwilligkeit<br />

der Betroffenen verzwanzigfacht hätte.<br />

Ich klage die an, deren Gewinnstreben dazu<br />

gefühlt hat, Personen über 50 (in manchen Branchen<br />

Personen über 40) Jahren, Behinderte oder<br />

Psychatrie-Erfahrene zum alten Eisen zu zählen.<br />

Nebenbei - obwohl hier nicht wirklich interesselos<br />

- klage ich die an, die jenen Gmppen und<br />

Verbänden, die sich ohnehin schon ehrenamtlich<br />

mit Fragen der Armutsbevölkerung befassen,<br />

noch die spärlichen Infrastrukturmittel streichen<br />

(wie es aktuell der Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitischer<br />

Arbeitskreise droht).<br />

Machbar wäre neben einer Arbeitszeitverkürzung<br />

nach dem im Grundsatz richtigen französischen<br />

Modell auch die Einrichtung einer<br />

Grundsicherung, die ihren Namen verdient, verbunden<br />

mit der Streichung des Lohnabstandgebots,<br />

welches zur Senkung sowohl der Löhne<br />

als auch der Sozialhilfe führen könnte. Auch<br />

klage ich die an, die durch Bundespolitik die<br />

Kommunen kaputtmachen, indem sie diesen<br />

die Folgewirkungen ihrer Politik als Sozialhilfeanforderungen<br />

aufhalsen.<br />

Globalisierung<br />

PULSSCHLAG<br />

,Globalisierung' ist zwischenzeitlich eines der<br />

hervorgehobenen Lieblingswörter: mal als Imperativ<br />

zur sofortigen Anpassung an das soeben<br />

zitierte imperiale ,Feld der Ökonomie', mal als<br />

Quelle alles Bösen. Dabei ist das Streben nach<br />

der Vorherrschaft des Weltmarktes überhaupt<br />

nichts Neues: so unterschiedliche Quellen, wie<br />

das .Kommunistische Manifest' und das .Appetitlexikon'<br />

von Habs/Rosner beziehen sich<br />

darauf; auch war ihm bereits der Erste Weltkrieg<br />

zu verdanken.<br />

Ich klage an; und ich klage die an, die die<br />

Verbindung von Weltmacht und elektronischer<br />

Maschinerie (und nichts anderes bedeutet das<br />

Wort von der .Globalisierung') dazu benutzen,<br />

überwunden geglaubte Zustände des 19. Jahrhunderts<br />

wieder herzustellen. Kosten-Nutzen-<br />

Rechnung, Vorherrschaft der Ware (zu der nun<br />

alles, bis hin zum menschlichen Gen, zählt),<br />

Vogelfreisetzungen ganzer Belegschaften, Zerreißung<br />

der sozialen Netze, Ubergabe demokratischer<br />

Versatzstücke an die Konzerne, Erwerbsarmut<br />

- dies sind nur einige Stichworte für<br />

dieses Ensemble an Konterreformen, das auch<br />

noch die kapitalfreundlichste Politik zu Laufburschen<br />

und -mägden auspressungswilliger<br />

Konzernetagen degradiert.<br />

Arbeit und Ehrenamt<br />

Wenn sich durch die elektronische Maschinerie<br />

die Erwerbsarbeit vermindert, hätte dies auch<br />

ein Zeichen der Hoffnung sein können - ohnehin<br />

ist die Erwerbsarbeit vielen zu viel, führt zu<br />

Überlastung, Gesundheitsschäden, Streß und<br />

Kompensationsbedürfnissen. Eine Rationalisierung',<br />

die den Namen verdiente, wäre dann<br />

eine Aktion der Vernunft, wenn die Erwerbsarbeitszeit<br />

so lange gesenkt würde, bis die Erwerbslosen<br />

(re-)integriert werden könnten. Ich<br />

klage die an, die sich dagegen wehren: weil sie<br />

sich dann nicht mehr - unter Ausgrenzung von<br />

Millionen - weltweit das motivierteste Frisch-

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