Vollversion (5.41 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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HAUPTBEITRÄGE<br />
nisierung zu einiger Wirksamkeit verholfen,<br />
oder umgekehrt: Das Moment der Organisierung<br />
steigert gezielt die Gefühle relativer Benachteiligung<br />
und die Rebellionsbereitschaft.<br />
Jedenfalls bleibt relative Benachteiligung nicht<br />
die alleinige und unmittelbar Einfluß ausübende<br />
erklärende Variable auf kollektive Protestbereitschaft<br />
und manifesten Protest. Das bei<br />
Gurr in der Verkürzung noch sehr simple Kausalmodell<br />
- relative Benachteiligungen produzieren<br />
gewaltsame Proteste - wurde nunmehr<br />
zu einem komplexeren Basismodell ausgeweitet<br />
(vgl. Abb. 1, S. 64). Dabei bleibt allerdings<br />
sowohl auf eine Vielzahl intermediärer Bedingungen<br />
als auch auf Ergänzungsbedarf durch<br />
die Theorie der politischen Gelegenheitsstruktur<br />
für die Ressourcenmobilisierungstheorie<br />
hinzuweisen.<br />
An die Stelle von Entbehrungen bei potentiellen<br />
Protestlern - ob absoluter oder relativer<br />
Art - treten nunmehr Unternehmerfiguren in<br />
den Bewegungssektor. Ganze Bewegungsindustrien<br />
mit alternativen Kosten, mit Konkurrenten<br />
und Allianzen werden skizziert. Dabei entwickeln<br />
die Bewegungsunternehmer ihre eigene<br />
Produktstrategie und haben häufig im Sinne<br />
von Michels (1911) ,ehernem' Gesetz der<br />
Oligarchie ihre eigenen Ziele vor Augen, die -<br />
mitunter scheinlegitimiert durch die Geführten<br />
- in ihrer Reichweite und den genutzten Privilegien<br />
den Anhängern der Bewegungsideologie<br />
verborgen bleiben. Autonomie oder Teilautonomie<br />
der Ziele, vor allem aber auch die<br />
bewußte Kalkulation von Angebotslücken und<br />
deren Schließen durch neue Bewegungsunternehmer,<br />
die Organisationsstruktur und ihre<br />
weitere Entwicklung rücken in den Mittelpunkt.<br />
Daß sich (Protest-)Eliten von den Geführten<br />
zu verselbständigen suchen, war spätestens seit<br />
Michels systematisch bekannt. Wie stark ihr<br />
Gebaren, vor allem in un- oder noch wenig<br />
EKKART ZIMMERMANN<br />
strukturierten Märkten aber den Verhaltensweisen<br />
normaler Unternehmer bei der Planung,<br />
dem Marketing und Absatz ihrer Produkte sowie<br />
schließlich des Ertrages entsprach, wurde<br />
erst durch die synthetische Leistung von Mc<br />
Carthy und Zald (1973) deutlich.<br />
Nimmt man implizite Wertbeziehungen bei den<br />
Forschem an, so hätte es scheinen können, als<br />
ob noch bei den Ansätzen der relativen Benachteiligung<br />
von deutlicher Empathie, bei der<br />
Perspektive der Ressourcenmobilisierung allerdings<br />
manchmal eher von fröhlichem Zynismus<br />
die Rede hätte sein können. Doch bleibt<br />
die analytische Potenz des Ansatzes von solchen<br />
Überlegungen unberührt. Wissenschaftliche<br />
Erkenntnis ist immer zweiseitig nutzbar:<br />
zur Herbeiführung eines erstrebten Zustandes<br />
oder zum Abwenden desselben. So verblüfft<br />
es denn auch nicht, wenn, zumal in Demokratien,<br />
die Gefährlichkeit der Mobilisierung von<br />
Ressourcen durch Dissidenten von weitblikkenden<br />
politischen Amtsinhabem immer gesehen<br />
worden ist und potentielle Gegeneliten<br />
durch Kooptation in das System (Pareto 1916;<br />
Tilly 1975) ,unschädlich' gemacht bzw. integriert<br />
worden sind. Auf diese Weise hat das<br />
System aber auch den nötigen Wandel im Personal<br />
und z.T. in den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen<br />
Sichtweisen erfahren. Die<br />
Teilhabe der Grünen an der Regierungsmacht<br />
ab 1998 wird hierfür zahlreiche Belege erbringen.<br />
Nun gilt es - ähnlich wie in der soziologischen<br />
Rollentheorie - ein breitgefächertes konzeptionelles<br />
Instrumentarium nicht schon für<br />
gute methodisch-theoriegeleitete Forschung zu<br />
halten (vgl. Kap. 3). Doch hätten viele der<br />
konzeptionellen Überlegungen von McCarthy<br />
und Zald unschwer in empirisch testbare Hypothesen<br />
überführt werden können, was bislang<br />
eher unzureichend geschehen ist (Zald<br />
1992).